Wildes Leben in Amsterdam: Mit Hilfe eines Internetportals versuchen die Niederländer, das Problem zunehmender Geschlechtskrankheiten in den Griff zu bekommen. Bei Syphilis führt das anonyme Tool jetzt schon zu frühen Diagnosen und raschen Therapien. Ein gelungenes Beispiel für Public Health 2.0.
Das Problem ist klar: Wer sich bei ausschweifendem Lebenswandel eine Geschlechtskrankheit einfängt, rennt damit häufig nicht sofort zum Arzt. Bis man den inneren Schweinehund überwindet und seine Effloreszenzen an delikater Stelle vorzeigt, vergeht mitunter viel zu viel Zeit. So auch in Amsterdam: Seit 1998 sei die Zahl der Syphilis-Infektionen in der Metropole von damals 35 auf mittlerweile über 300 pro Jahr angestiegen, berichtete Rik Koekenbier vom Amsterdam Health Service auf der Konferenz Mednet 2007 in Leipzig. Was tun?
Barrierefreier Syphilis-Test wird gut angenommen
Die Niederländer entschieden sich für ein bemerkenswert pragmatisches Projekt, dessen Auswertung jetzt vorliegt: "Wir haben uns gefragt, wie wir es schaffen, dass sich mehr Männer, die Sex mit Männern haben, auf Syphilis testen lassen", so Koekenbier. Die Antwort war eine interaktive Webseite. Sie wurde im Internet per Bannerwerbung bekannt gemacht, und zwar gezielt auf jenen Webseiten, auf denen sich das Amsterdamer Nachtleben und insbesondere die dortige MSM-Community tummelt. Die Webseite funktioniert so: Besucher können sich einen beliebigen Spitznamen geben, der es ihnen erlaubt, sich ein Einweisungsschreiben herunter zu laden. Mit diesem Einweisungsschreiben gehen sie zu einem von sieben dort aufgelisteten Labors, wo der Syphilistest komplett anonym gemacht wird. Die Ergebnisse werden nach einigen Tagen ins Netz gestellt und können dort von dem Betreffenden mit Hilfe seines Spitznamens und einem auf dem Einweisungsschreiben abgedruckten Passwort abgerufen werden. Ist der Test positiv, folgt die Empfehlung, doch bitte einen Arzt aufzusuchen, um sich behandeln zu lassen.
Als primärer Ansprechpartner wird die Amsterdamer STD-Outpatient Clinic benannt, wo das Prozedere mit den Internettests bekannt ist. Prinzipiell kann aber auch jeder andere Arzt aufgesucht werden, der Geschlechtskrankheiten behandelt. "Alles in allem hatten wir innerhalb weniger Monate 20.000 Besuche der Website. Rund 1000 Menschen haben ein Einweisungsschreiben herunter geladen, und davon hat sich jeder zehnte testen lassen", so Koekenbier. Fast jeder, der sich testen ließ, hat dann auch die Ergebnisse online überprüft. Immerhin 14 mal war der Test positiv, und von diesen kamen zehn in die Outpatient Clinic. Die übrigen vier könnten einen anderen Arzt aufgesucht haben. Wegen der Anonymität des Systems war das aber nicht nachprüfbar.
Wer sich testen lässt, ist oft ein Risikokandidat
Insgesamt sei man beim Amsterdam Health Service sehr zufrieden mit dem Verlauf dieses Projekts, wie Koekenbier betonte. Bemerkenswert sei insbesondere, dass etwa die Hälfte derer, die positiv getestet wurden, in einem frühen Erkrankungsstadium waren. Dies sei doppelt so viel wie beim normalen Patientenkollektiv der STD-Klinik. Das deutet darauf hin, dass es den Menschen tatsächlich leichter fällt, das anonyme Online-Prozedere in Anspruch zu nehmen als direkt einen Arzt aufzusuchen. Auch die Effizienz ließ wenig zu wünschen übrig: Immerhin jeder siebte, der einen Test machen ließ, war positiv - deutlich mehr als gewöhnlich bei Screening-Untersuchungen auf Syphilis. Es scheinen also tatsächlich Risikokandidaten zu sein, die über das Portal "heraus gefischt" werden. Nach den Erfahrungen mit Syfilistest.nl soll es nicht bei diesem einen Portal bleiben. Die Niederländer möchten das Angebot auch auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen ausweiten, darunter Chlamydien, Gonorrhoe und HIV-Infektionen. Ein neues Portal für diesen Service ist bereits in Planung. Es soll demnächst online gehen.