Infizieren sich Grippepatienten zusätzlich mit Pneumokokken, verläuft die Erkrankung schwer, oft sogar tödlich. Infektiologen zeigen nun, dass die Immunabwehr auf Pneumokokken sehr unterschiedlich reagiert. Wichtig ist, eine Doppelinfektion extrem schnell zu behandeln.
Fieber bis zu 40 Grad, Halsschmerzen, trockener Husten, Kopf- und Gliederschmerzen. Das sind die typischen Symptome einer Grippe. Bei den meisten Betroffenen treten keine weiteren Komplikationen auf und die Erkrankung ist nach ein bis zwei Wochen überstanden. Doch die Infektion mit dem Influenza-Virus schwächt das Immunsystem von Grippe-Patienten und macht diese anfälliger für andere Krankheitserreger. Bakterien wie Streptococcus pneumoniae können die Lungen befallen und die Krankheitssymptome der Grippeinfizierten verstärken. „Wenn sich der Husten verändert und Auswurf hinzukommt, dann spricht das für eine bakterielle Superinfektion und die Patienten sollten prophylaktisch Antibiotika erhalten“, sagt Dunja Bruder, Leiterin der Arbeitsgruppe Immunregulation am HZI und Professorin für Infektionsimmunologie an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. In der Regel sind die gängigen Antibiotika wie Penicillin gut wirksam und die Gefahr von Resistenzen in Deutschland momentan noch gering – im Gegensatz zu südeuropäischen Ländern wie Spanien oder Griechenland, wo schon knapp 50 Prozent aller Pneumokokken-Stämme nicht mehr auf Penicillin ansprechen. Nach Ansicht von Bruder ist es deshalb wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis dieses Problem auch in deutschen Kliniken auftritt. Mit ernsten Folgen für die betroffenen Patienten, denn bei einem aggressiven Krankheitsverlauf bleibt kaum Zeit, um genau herauszufinden, welches Antibiotikum bei einem resistenten Erreger noch wirkt.
Um Patienten mit Doppelinfektion zielgerichteter behandeln zu können, untersuchen Bruder und ihre Mitarbeiter schon seit vielen Jahren die Abwehrmechanismen, mit denen das Immunsystem auf Infektionen der Lunge reagiert. Nun konnten die Forscher im Tiermodell zeigen, dass die Reaktion der Immunabwehr auf Pneumokokken sehr stark variiert. Wie das Team um Bruder in einem Artikel in der Fachzeitschrift Infection und Immunity berichtet, wurden bei den grippeinfizierten Mäusen in Abhängigkeit des verwendeten Bakterienstamms unterschiedliche Immunzellen und Botenstoffe aktiv. Im Rahmen ihrer Experimente infizierten die Forscher alle Mäuse zuerst mit einem Influenza A-Virus: „Grippeinfizierte Mäuse verlieren durch die Krankheit an Gewicht“, erklärt Bruder. „Ohne zusätzliche Infektion ist eine Woche nach Infektion der Gewichtsverlust am größten.“ Zu diesem Zeitpunkt, so die Forscherin, sei das Lungengewebe der infizierten Tiere am meisten geschädigt und entsprechend anfällig für den Angriff weiterer Erreger.
Bruder und ihr Team infizierten deshalb die Mäuse sieben Tage nach der Erstinfektion mit jeweils einem von drei verschiedenen Pneumokokken-Stämmen an, auf die Mäuse bei einer alleinigen Infektion extrem unterschiedlich reagieren. „Das Spektrum reichte von einem harmlosen Stamm, der normalerweise kaum Symptome hervorruft, über einen etwas aggressiveren Stamm bis zu einem hoch invasiven Stamm, der über das Lungengewebe in den Blutstrom eindringen und so schwere Erkrankungen auslösen kann“, berichtet Bruder. Der Zustand der grippekranken Mäusen verschlechterte sich schon wenige Stunden nach der bakteriellen Koinfektion dramatisch: „Auch die ansonsten harmlose Pneumokokken wurden zu tödlichen Killern“, sagt Bruder. „Offenbar ist nach einer Grippeinfektion die körpereigene Abwehr der Mäuse grundsätzlich gegen Bakterien geschwächt.“ Fand die Koinfektion mit den Pneumokokken erst nach 14 oder 21 Tagen statt, fiel die Reaktion auf die Erreger deutlich geringer aus. Die Forscher konnten dann zwar noch eine ausgeprägte Entzündung in der Lunge nachweisen, aber das Influenzavirus selbst war vom Immunsystem bereits erfolgreich eliminiert worden. Lungengewebe von Mäusen nach alleiniger Pneumokkoken-Infektion (links) ist weniger entzündet als Lungengewebe von Mäusen nach Doppel-Infektion (rechts). Die entzündeten Areale mit den eingewanderten Immunzellen sind als dunkle Verfärbungen zu erkennen. © D. Bruder Größere Unterschiede stellten Bruder und ihr Team bei der Art der Entzündungsreaktionen fest, die das Immunsystem der Mäuse zur Abwehr der verschiedenen Bakterien einleitete. Die Forscher fanden in Abhängigkeit vom jeweiligen Pneumokokken-Stamm unterschiedliche Konzentrationen verschiedener Botenstoffe, eine unterschiedliche Verteilung der wichtigsten Typen von Immunzellen in der Lunge und auch unterschiedliche Wege der Ausbreitung der Bakterien im Körper. „Der eher harmlose Pneumokkoken-Stamm geht auch bei einer Koinfektion nicht ins Blut“, sagt Bruder. „Die damit infizierten Mäuse sterben nicht an einer Blutvergiftung, sondern wahrscheinlich an einer fehlgeleiteten Immunantwort.“ Zum Glück ist die Sterblichkeitsrate bei Grippekranken mit Pneumokokken-Superinfektionen nicht nur dank wirksamer Antibiotika sehr viel geringer als bei Mäusen. Laut Bruder ist auch das Zeitfenster zwischen der Koinfektion und dem Zeitpunkt, wo es für die Patienten wirklich kritisch wird, wesentlich größer als bei den Mäusen, da die in der Studie verwendeten Dosen für die Infektion mit den Pneumokokken sehr hoch waren.
Dennoch könnten die in der Studie festgestellten Unterschiede bei künftigen Grippeepidemien von Bedeutung sein: „Es reicht nicht immer aus, Medikamente gegen die Influenza-Viren und die Bakterien zu kombinieren“, so Bruder. „Ideal wären zusätzliche immunmodulierende Therapien. Sie könnten verhindern, dass die Entzündungsreaktionen bei einer Koinfektion zu heftig ausfallen und dadurch den eigenen Körper schädigen.“ Allerdings, so die Forscherin, könnte eine zu starke Dämpfung der Immunsystems dazu führen, dass der Patient die Bakterien nicht vollständig loswird. Deshalb müssten solche entzündungshemmenden Medikamente auf den jeweils vorliegenden Pneumokokkentyp abstimmt werden. Doch stehen solche fein abgestimmten Therapieansätze ganz am Anfang der Entwicklung: „Bevor immunmodulierende Medikamente in der Klinik zum Einsatz kommen, muss ihre Wirkung noch in Tierversuchen ausgetestet werden“, findet Bruder. Sie und ihr Team möchten zukünftig insbesondere untersuchen, wie sich Pneumokokken verändern, wenn sie in einem – bedingt durch die Virusinfektion – extrem entzündeten Lungengewebe wachsen.
Andere Experten finden die Ergebnisse von Bruders Team sehr spannend: „Besonders die Erkenntnis, dass die Schwere der Pneumonie bei Grippekranken vor allem vom Zeitpunkt der Koinfektion abhängt und weniger von der Aggressivität des Pneumokokkenstamms, ist für den klinischen Alltag von Bedeutung“, sagt Jens Schreiber, Direktor der Universitätsklinik für Pneumologie der Universität Magdeburg. „Gerade bei beatmeten Grippepatienten sind Superinfektionen mit Pneumokokken relativ häufig.“ Bei dieser Patientengruppe und auch bei anderen Grippekranken mit Verdacht auf eine Pneumonie, so der Mediziner, sei der wichtigste prognostische Faktor die frühzeitige Behandlung mit Antibiotika und deshalb sollten diese Medikamente so schnell wie möglich angewendet werden. Den Einsatz von Immunmodulatoren hält Schreiber für verfrüht: „Das ist ein plausibles Konzept, das jedoch noch weit von der Klinik entfernt ist, da Daten fehlen, die deutlich über das Mausmodell hinausgehen.“