Dr. Mark Benecke hat sich in den letzten Jahren in Mediziner-, Biologen und Polizeikreisen einen Namen gemacht: in Rezensionen, sowie in diversen Talkshows und Fernsehberichten wird er als "der berühmteste Kriminalbiologe der Welt" bezeichnet.
Weltweit im Einsatz für die Wahrheit, konfrontiert ihn sein Beruf täglich mit teils skurrilen Begegnungen mit dem Tod. Der forensische Biologe stand uns für ein Interview Rede und Antwort.
MS: Lieber Mark Benecke! Vielen Dank zunächst für Ihre Bereitschaft, uns ein paar Fragen zu beantworten! Der bekannte Wiener Pathologe und Buchautor Hans Bankl schreibt in seinem Werk "Im Rücken steckt das Messer", dass es mit der ersten Leiche so sei, wie mit der ersten Liebe: Man kann sich immer an sie erinnern. Wie ist das bei Ihnen? Gibt es auch das berühmte Schlüsselerlebnis oder die berühmte erste Leiche, an die Sie Sich immer erinnern werden? Mark Benecke: Leider nein - das kam so graduell...echt. Ich habe ja im Keller der Rechtsmedizin, der früher ein Affenstall war, gearbeitet - da lag also alles mögliche Interessante rum... Außerdem interessiere ich mich nicht so für Leichen, sondern eher für Spuren - ich kann mich daher besser an meine erste Leichenfliege und den ersten Leichenkäfer erinnern. Das waren eine Käsefliegenlarve (piophila casei) und ein rotbeiniger Schinkenkäfer (necrobia ruficollis / rufipes), auch larval - beide habe ich danach nicht mehr oft gesehen. Sehr strange!
MS: Nach so vielen Jahren Erfahrung im Umgang mit dem Tod: Können Sie sich überhaupt noch eine Situation vorstellen, in der Sie die Begegnung mit einem Toten überhaupt noch schocken könnte? Mark Benecke: Nein! Wenn man das nicht trennt - Gott, Schicksal, Todsünden und die Leiche als Spurenträger (die nun mal immer tot ist), dann kann man den Job nicht machen. Das heißt nicht, dass ich ein harter Knochen bin: Spinnen und Schleimpartys finde ich genauso ekelig wie jeder andere.
MS: Bei Ihrem Vortrag über "Vampire" haben Sie z.B. Fotos von der Exhumierung einer Leiche in der ungarischen Provinz gezeigt, bei der Sie persönlich zugegen waren. Egal, wie oft man schon mit Toten zu tun hatte, das ist doch bestimmt ein unheimlicher und beklemmender Moment, oder?! Mark Benecke: Das war in Rumänien und ein V-Mann hat mir die Bilder gegeben. Ich kann aber generell auch mit sehr düsteren Sachen gut umgehen; man muss eben manchmal das Tor zur Hölle ein bisschen aufmachen, um zu verstehen, was da vor sich geht. Das habe ich schon immer gemacht, beispielsweise, als ich recherchiert habe, welche Drogen bei Technopartys tatsächlich unterwegs sind, oder was moderne Kannibalen so antreibt, oder warum ein Serientäter ausgerechnet Schnapsflaschendeckel am Tatort hinterlässt (siehe CASES auf benecke.com). Ich habe keine Angst vor den "bösen" Leuten - auch im Knast nicht. Ich rede mit denen über objektive Tatsachen - nicht über Gut und Böse.
MS: In Vorträgen und Interviews betonen Sie immer, dass Sie nur an der Wahrheit interessiert sind und nicht am weiteren Schicksal, welches z.B. einen Mörder erwartet. Kann man wirklich immer so genau trennen? Wie lange dauert es, bis man tatsächlich "mitleidsfrei" mit den Opfern von Gewaltverbrechen arbeiten kann, ohne dass man bei der Arbeit von deren Schicksal zu sehr tangiert wird? Mark Benecke: Das muss man von vornherein können. Das ist ein Charakterzug, denke ich mal.
MS: Die Themen "Pathologie", "Gerichtsmedizin", "Präparierkurs", "Obduktion" und ähnliches stoßen bei Besuchern und Nutzern unserer Seite auf verstärktes Interesse. Wie erklären Sie sich die Affinität vieler Menschen zu solchen Themen? Ist es der berühmte Grad zwischen Faszination und Grauen? Mark Benecke: Nein, ich glaube der Symbolwert überwiegt: Fin de Siècle, Untergang unserer Kultur, Zeitenwechsel. Krimis fanden die Leute schon immer spannend, aber diese Nummer mit Leichen und dem Kreislauf des Lebens ist eher symbolisch zu deuten. Im Fernsehen werden auch immer weniger Leichen gezeigt, die Leute wollten es halt mal sehen, aber jetzt ist es auch wieder gut.
MS: Und...ganz ehrlich: Wie ist das bei Ihnen? Überwiegt das rein wissenschaftliche Interesse, oder ist der "Nervenkitzel" auch ein starker Antrieb? Mark Benecke: Keinen Schimmer. Ich mache meinen Kram und fertig. Zu 99,9 Prozent kann ich da keinerlei Kitzel drin sehen, außer, dass ich eben nix langweiliges und vorhersehbares machen will. Aber Zug fahren, Akten wälzen, Klopapier kaufen, das Büro putzen, für die StudentInnen Kekse besorgen usw. würde ich jetzt nicht als supernervenkitzelig bezeichnen.
MS: Da ich neben Medizinstudium und journalistischer Tätigkeit seit über 15 Jahren mit Musik meine Brötchen verdiene und meine Familie ernähre, habe ich mich natürlich ein bisschen über Ihre musikalische Karriere schlau gemacht. Auf youtube habe ich z.B. einige Clips ihrer Gruppe "Die Blonden Burschen" gesehen. Ist die Musik ein kreatives "Ventil" für die Arbeit mit dem Tod? Mark Benecke: Nein, überhaupt nicht, das war nur ein Nonsensprojekt, geschmacklos, langweilig und peinlich (Bandmotto) - das ist auch bei youtube überdeutlich zu erkennen!
MS: Bei Ihren Auftritten mit der Band verwenden Sie das gleiche Backdrop (= Darstellung im Hintergrund) wie bei Ihren Vorträgen: Erzengel Michael, der den Drachen-Teufel in den Abgrund stürzt. Welche Geschichte verbirgt sich hinter dieser ungewöhnlichen Wahl der Bühnendekoration? Mark Benecke: Hierbei handelt es sich nicht um reine Bühnendekoration. Das Motiv habe ich auch auf meinen Körper tätowiert (auch auf benecke.com unter TATTOO) ...find ich einfach gut, dass Engel auch mal sauer sind und - wenn man ihnen zu sehr auf der Nase rumtanzt - handgreiflich werden und klare Verhältnisse schaffen. Ich mag diese verkitschten gut/böse Nummern nicht, daher mag ich den zornigen Engel. Bei mir sieht er noch lieb aus, aber schau dir mal die Darstellung von Dürer an...!
MS: Abschließend einen Tipp von Ihnen als Fachmann für angehende Mediziner (besonders Rechtsmediziner, Pathologen oder vergleichbares)? Mark Benecke: Tu, was du kannst.
MS: Wir danken Ihnen herzlich für das nette Interview! Mark Benecke: Na, ganz meinerseits!