Der Showdown rückt näher: Kritische Ärzteverbände haben sich mit anderen Organisationen zu einem Bündnis gegen die E-Card zusammengeschlossen. Derweil bemüht sich die Bundesärztekammer mit Blick auf den Ärztetag händeringend um eine mehrheitsfähige Linie.
"Wir sind es leid, für Prestigeprojekte der Politik die Industrie mit Geld zu füttern" - Der Satz, den Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft in Berlin auf der Gründungsveranstaltung des Bündnisses Aktion: Stoppt die E-Card sagte, kam aus tiefstem Herzen. Zusammen mit dem NAV Virchow-Bund, der bisher wenig in Erscheinung getretenen Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, dem Chaos Computer Club, dem Bündnis Vorratsdatenspeicherung und einigen anderen Gruppierungen haben die "Freien" ein Bündnis geschmiedet, dessen Ziel es ist, die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zu verhindern.
Kein Boykottaufruf aber ....
Nicht ganz ungeschickt drückten sich die in Berlin anwesenden Ärzte um einen expliziten Boykottaufruf: "Wir wollen informieren, wie die Karte boykottiert werden kann, mehr nicht", so Grauduszus in Berlin. Das Ganze kam in der breiteren Öffentlichkeit anders an, und das dürfte auch gewollt gewesen sein. Die für die neuen Karten nötigen digitalen Fotos gar nicht erst einschicken und die alte Karte unter allen Umständen behalten, das waren die beiden Kernvorschläge, die in Berlin auf den Tisch gelegt wurden.Inhaltlich sind die beiden wichtigsten Einwände gegen die neue Karte die Sorge vor einem Missbrauch der Daten und Kostenbedenken. Im Detail finden sich hier viel Widersprüche in der Argumentation: Die Behauptung etwa, es sei anfangs so getan worden, als ob alle medizinischen Daten direkt auf der neuen Gesundheitskarte gespeichert würden, ist schlicht falsch. Zeitungsberichte in deutschen Regionalzeitungen, in denen das Netzwerkkonzept mehr oder weniger korrekt dargestellt wurde, finden sich Jahre bevor sich IPPNW oder Freie Ärzte auch nur zu Wort gemeldet hatten. Auch die These von der Geldmacherei der Großindustrie überzeugt letztlich nicht, wenn gleichzeitig USB-basierten Security-Lösungen "am Patienten" das Wort geredet wird. Denn tatsächlich entsteht genau hier gerade ein Milliardenmarkt, bei dem jetzt schon absehbar ist, dass ihn sich weltweit etwa fünf Security-Konzerne teilen werden. Der Sekt steht dort schon kühl.
Klar ist vor allem, was nicht gewollt ist.
Auf einige Kernfragen aus "Bürgerperspektive" gab es auch von den Bürgerrechtlern in Berlin keine Antwort. Warum, beispielsweise, ein Bürger nicht das Recht haben soll, seine Gesundheitsdaten wem auch immer freiwillig zugänglich zu machen, ist im 21. Jahrhundert irgendwie schwer zu vermitteln. Und warum sich die um ihr Arbeitspensum besorgten Ärzte nicht endlich einmal zusammen setzen, um Richtlinien festzulegen, wie in Zeiten der elektronischen Dokumentation der ärztlichen Sorgfaltspflicht Genüge getan werden kann, ohne von dem Arzt zu verlangen, alle verfügbaren Dokumente einer elektronischen Akte zu lesen, fällt auch schwer, nachzuvollziehen. Zumal dieses "Problem" - von dem Arzthaftungsrechtler praktisch durch die Bank sagen, dass es ohne Gesetzesänderung lösbar ist - natürlich ganz genauso für Akten auf einem USB-Stick beziehungsweise für Papierdokumente in einem Leitz-Ordner existiert. Auch die Zustimmung, die etwa Klaus Bittmann vom NAV-Virchow-Bund äußert, wenn es um die regionale Vernetzung von Arztpraxen geht, ist eine dieser offenen Flanken in der Argumentation. So ganz verzichten will man auf Rechenzentren dann wohl doch nicht. Vor allem jene unter ärztlicher Kontrolle, bei denen (teilweise) kaum Transparenz für die Patienten besteht, scheinen in Ordnung zu sein.
Händeringende Suche nach einem Kompromiss
Auf der anderen Seite der Grabenkämpfe, bei der "offiziellen" Ärzteschaft, versucht man derzeit, die ganze Debatte wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Bundesärztekammer hat Ende 2007 mit Blick auf den Deutschen Ärztetag im Mai den Entwurf eines Positionspapiers vorgelegt, der Anfang Februar 2008 über die Internetseiten des Deutschen Ärzteblatts öffentlich gemacht wurde. In diesem Papier wird die komplette Freiwilligkeit der E-Card (Ausnahme: Versichertendaten auslesen) gefordert, was quasi einer Absage an das E-Rezept gleich kommt. Es wird eine sinnvolle Erweiterung des Notfalldatensatzes zu klinischen Basisinformationen angeregt. Und zentralen Bemühungen um eine Arzneimitteldokumentation und eine Patientenakte wird mehr oder weniger eine Absage erteilt, genauso übrigens wie Gesundheitsakten von Krankenkassen, Google und Microsoft.
Kampf gegen die Windmühle
Über die einzelnen Punkte lässt sich trefflich diskutieren, aber letztlich schimmert auch in diesem Papier eine Phantomdiskussion durch: Weil es keine Pläne für eine zentrale Patientenakte gibt, kämpft man gegen Windmühlen. Denn was wird passieren? Die Krankenkassen, die die neuen Karten längst in Auftrag gegeben haben, werden sie früher oder später ausrollen. Derweil arbeiten diverse Player im Gesundheitswesen - Krankenhäuser, Krankenkassen, Ärztenetze und nicht zu vergessen die gerade entstehenden KV-freien Versorgungslandschaften - an eigenen elektronischen Dokumentationssystemen, ob sie nun Gesundheitsakten, Patientenakten oder Fallakten heißen. Diese werden schon wegen der einheitlichen Krankenversichertennummer E-Card-kompatibel sein, und Gesetz und Datenschützer werden für die notwenige Transparenz seitens der Versicherten sorgen.
Ob diese Versicherten dann ihre Daten für die langfristige Dokumentation kartenlos auf ein USB-System spielen oder aber in eine Online-Akte, die dann per E-Card zugänglich sein könnte, ist für die ganze Entwicklung der Patientenakten zunächst einmal völlig zweitrangig. Das "Problem" ist die digitale Kommunikation, nicht die Patientenakte. Anders gesagt: Statt sich jetzt, wo das gerade noch möglich ist, konstruktiv an der Entstehung einrichtungsübergreifender Dokumentationslösungen mit Patiententransparenz zu beteiligen, entscheiden sich große Teile der Ärzteschaft dafür, dieses Thema komplett den Kliniken und den neuen Versorgungsverträgen zu überlassen, um sich stattdessen lieber an der Karte abzuarbeiten. Rückblickend könnte sich das als Fehler erweisen.