Sorgt die zusätzliche Gabe von Testosteron für potente Mitt-Sechziger? Beliebt ist die Hormontherapie bei älteren Männern allemal. Doch dass bei weitem nicht alles Gold ist, was auf dem Anti-Aging-Bazar glänzt, zeigt eine Studie aus den Niederlanden.
Nicht immer werden Wünsche wahr: "Wenn die Forschung erfolgreich ist, werden die Menschen nicht nur lange, sondern auch gesund leben". Schon Mitte dieses Jahrhunderts wird es mehr alte als junge Erdenbürger geben. Mehr Männer und Frauen über 65 als unter 15, schätzt Richard Faragher, Biologe und Altersforscher von der Universität Brighton. Schon seit einigen Jahre lang träumen Wissenschaftler und Anti-Aging-Vermarkter davon, dass Hormongaben den Alterungsprozess aufhalten und 70-jährige wie Männer in den besten Jahren aussehen und fühlen lassen könnten. Ergebnisse einer klinischen Forschergruppe der Universität Utrecht haben diese Illusion nun ganz empfindlich gestört. Die Daten in der Fachzeitschrift JAMA zeigen, dass Testosteron bei weitem nicht den Effekt hat, den sich die Teilnehmer davon erwarteten.
Schon in den letzten Jahren schauten die Anti-Aging-Spezialisten immer wieder auf Ergebnisse einer Testosteron-Gabe bei älteren Männern. Bisher waren das jedoch eher klein angelegte Studien, die nur wenige Aspekte des Alterungsprozesses berücksichtigten: Knochen- oder Muskelmasse oder geistige Leistungsfähigkeit. Unterschiedliche Ziele und Design der Untersuchungen ließen eine zuverlässige Beurteilung einer Testosteron-Therapie für Männer nicht zu.
Schlechte Nachrichten für Hormon-Fans
Das Forscherteam um Marielle Emmelot-Vonk untersuchte nun 223 Männer jenseits der 60 auf Körpermasse und deren Fettanteil, kognitive Leistung, Muskelmasse und -kraft sowie Beweglichkeit nach einer sechsmonatigen Gabe von 160 mg Testosteron pro Tag. Alle Teilnehmer litten an einem altersbedingten Hypogonadismus mit einem durchschnittlichen Testosterongehalt von 11,0 beziehungsweise 10,4 in der Placebogruppe. Nach einem halben Jahr war der Spiegel des freien oder gebundenen Hormons nicht höher als am Anfang. Die fettfreie Körpermasse nahm zwar im gleichen Maß zu wie der Fettanteil geringer wurde. Die Untersuchungen zeigten aber auch: Die Änderungen der Körperproportionen führt nicht automatisch zu mehr Kraft in Armen und Beinen. Auch der Mineralgehalt der Knochen änderte sich nach sechs Monaten kaum.
Studienleiterin Yvonne an der Schouw hat noch mehr schlechte Nachrichten für Ärzte, die ihre Patienten mit Hormonen verjüngen möchten: "Wir hatten gehofft, dass der intraabdominale Fettanteil zurückgehen würde, denn dort sitzt das gefährliche Fett für den Körper. Aber auch dort sahen wir keine Veränderung." Das HDL-Cholesterin nahm im Vergleich zu LDL und Triglyceriden signifikant ab. Vor allem deswegen registrierten Emmelot-Vonk und ihre Kollegen, dass Probanden mit der vermeintlichen Hormonkur häufiger zu Patienten mit metabolischem Syndrom wurden als solche mit dem Scheinmedikament.
Männliche Wechseljahre - eine urbane Legende?
Für die Vermarkter einer Hormonersatztherapie bei Männern jenseits der 50 dürfte es nach diesen Ergebnissen auf alle Fälle schwieriger werden. Zunehmend verschwindet der Begriff der "männlichen Wechseljahre" aus den Werbetexten für Anti-Aging-Mittel. Aber auch über die Häufigkeit des Hypogonadismus im Alter und einer mehr oder weniger notwendigen Bekämpfung mit dem Sexualhormon gibt es heiße Diskussionen. Für eine finnische Testosteron-Studie suchte Antti Perheentupa per Fragebogen nach Teilnehmern mit Hypogonadismus. Unter 16 000 Rückläufern fanden sich 2500 mit entsprechenden Symptomen. Nach Blutanalysen blieben davon nur 37 geeignete Kandidaten übrig - viel zu wenig für die Statistik und viel weniger als die kursierenden Zahlen von rund 20 Prozent aller Männer mit Testosteron-Defizit.
Der Reproduktionsmediziner Eberhard Nieschlag von der Universität Münster bestätigt in Spiegel-Online Perheentupas Beobachtung: "Rund 90 Prozent aller 60-Jährigen und mehr als zwei Drittel aller 80-Jährigen haben noch genug Testosteron im Blut". Womöglich führen die Ergebnisse aus den Niederlanden auch zu einem Überdenken der deutschen Leitlinien zur Testosteron-Behandlung aus dem Jahr 2001. Das Konsensus-Papier mehrerer Urologen-Verbände sieht unter 8 nmol/l eine Hormongabe, unter 12 nmol/l zumindest die Option einer solchen Behandlung vor.
Alte als Auslaufmodell
Die Diskussion um Sinn und Unsinn einer Anti-Aging-Therapie mit Hormonen ist wohl noch lange nicht am Ende. Manfred Römmler, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin und Autor eines Buchs "Die Wahrheit über Hormone", plädiert bei Senioren für "eine Therapie durch Ausgleich eines eventuellen Hormonmangels durch natürliche Hormone". Ganz anderer Ansicht ist Manfred Stöhr, ehemaliger Direktor der Neurologischen Klinik Augsburg. In seinem Buch "Die Wahrheit über Anti-Aging": schreibt er: Wir sollten lernen, das Alter als physiologische Lebensphase zu begreifen und den älteren Menschen nicht als Auslaufmodell zu definieren, dem nur noch eine Rundum-Erneuerung in einem hormonellen Jungbrunnen zu helfen vermag."
Marielle Emmelot-Vonk zumindest rät den Patienten, die sich von der Testosterongabe mehr erhofft hatten, zu einem Mittel, mit dem sich auch niedrige Hormonspiegel wieder anheben lassen: Gesunde Ernährung und Sport.