Nach einem ersten Vorbericht zum Einsatz von Ginkgo-Präparaten bei Demenz hat das IQWIG den Blockbuster unter den Gedächtnispillen jetzt erneut unter die Lupe genommen. So richtig strahlend grün sind die Blätter von Goethes Lieblingsbaum immer noch nicht.
Mit der Veröffentlichung von Ginkgo Vorbericht 2.0 bringt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) jetzt ein Verfahren in Richtung Abschluss, das schon vor Jahren begonnen hatte. Der erste Berichtsplan zum Thema Ginkgo als Präparat zur Therapie bei Alzheimer-Demenz war im September 2005 publiziert worden. Es folgte ein Amendment bevor dann im Januar 2007 der "Vorbericht 1.0" kam. Danach war es ruhig geworden um den hübschen Baum mit den bizarren Blättern. In der jetzt vorgelegten Stellungnahme begründet das IQWIG die Verzögerung mit einer Veränderung in den methodischen Abläufen. An anderer Stelle, auf dem letzten Neurologenkongress, hatten Mitarbeiter des Instituts dagegen nachträglich eingereichte Daten als Begründung für die Verzögerung angegeben.
Mal hui, mal pfui
Wie dem auch sei, "Ginkgo 2.0" liegt jetzt vor, und der Baum schneidet nicht besonders gut ab. Das Thema ist heikel, weil Ginkgo-Präparate zu den großen Blockbustern in der Neurologie gehören. Sie wandern über den Apothekentisch wie Vitaminpillen. Dabei werden sie nicht nur gerne verschrieben, sondern auch gerne von Patienten aktiv nachgefragt, vielleicht wegen Goethe und Heidelberg, oder weil Ginkgo biloba so natürlich und angenehm asiatisch klingt.
In seiner Zusammenfassung kommt das IQWIG zu dem Schluss, dass die Studienlage erstens dünn ist, und dass die Ergebnisse zweitens sehr heterogen sind und deswegen keine abschließende Beurteilung zuließen. Im Einzelnen fanden die Wissenschaftler zwar massenhaft Studien zum Thema Ginkgo biloba, aber dann doch nur sechs mit insgesamt 1384 Teilnehmern, die im Studiendesign den Kriterien entsprachen, die das IQWIG für seine Nutzenbewertungen fordert. Bei einer Massenerkrankung mit Massenanwendung ist das klar zu wenig. Es kam noch hinzu, dass die Studienpopulationen sehr heterogen waren, etwa was das Alter der Alzheimer-Patienten und deren vorherrschende Symptomatik angeht. Die Konsequenz dieses Kuddelmuddels waren sehr unterschiedliche Studienergebnisse.
So gibt es insbesondere eine Studie aus dem Jahr 2007, die deutliche Effekte von Ginkgo biloba zeigt. Das IQWIG bezeichnet sie in einer begleitenden Pressemitteilung als "erstaunlich groß". Sie gehen nicht nur über die Effekte von Ginkgo biloba in anderen Studien hinaus, sondern sind auch ausgeprägter als in den Studien mit Cholinesterase-Hemmstoffen (IQWIG-Abschlussbericht zu Cholinesterasehemmstoffen). Insgesamt interpretieren die Experten die Studienlage dahingehend, dass es denkbar sei, dass Ginkgo in einigen Subpopulationen von Alzheimer-Patienten nutzenstiftend sein könnte. Anhand der vorliegenden Studien seien diese Subpopulationen jedoch nicht eindeutig zu identifizieren, sodass weitere Studien nötig seien.
Warum wird so herumgedruckst?
So verquast wie dieser letzte Satz klingt, so verquast liest sich der gesamte Vorbericht zu Ginkgo biloba, was für IQWIG-Verhältnisse durchaus ungewöhnlich ist. Wer die bisherigen Diskussionen und Berichte im IQWIG zur Demenz verfolgt hat, wird beim Lesen von "Ginkgo 2.0" den Eindruck nicht los, dass hier um ein offen und ehrlich kommuniziertes Negativfazit herum geredet wird. Widersprüchliche Studienergebnisse sind in der klinischen Forschung nun wirklich keine Ausnahme. Wenn sich die Waagschale nach mehreren Studien nicht zugunsten der Wirksamkeit neigt, dann kann es natürlich immer noch sein, dass Subgruppen profitieren. Aber das müsste dann nachgewiesen werden, und bis dahin sollte die Wirksamkeit einer Substanz nicht als unklar sondern als nicht belegt angesehen werden. Das ist relevant, denn bei Aufträgen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geht es bekanntlich im Endeffekt um die Frage der Erstattung in der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Und wenn die Studienlage nicht ausreicht, um bei einer unselektierten Patientenpopulation eine Wirksamkeit anzunehmen, dann müsste das in der Konsequenz heißen, dass das Präparat so lange nicht erstattet wird, bis die Subpopulation definiert ist, die profitiert. Nun entscheidet das IQWIG nicht über die Erstattung. Aber der Eindruck, dass durch die gewählten Formulierungen dem G-BA ein Hintertürchen offen gehalten werden soll, das bei anderen, weniger natürlichen Präparaten nicht offen gehalten wird, der drängt sich irgendwie auf.