Die Freie Ärzteschaft rief in dieser Woche bundesweit zu Schließungen auf. Doch ist zum Beispiel den Patienten klar, worum es dieses Mal geht? Und mit welchem Vorwurf an das Gesundheitssystem ist die Aktion verbunden? DocCheck sprach mit dem Präsidenten der Freien Ärzteschaft, Martin Grauduszus.
DC: Herr Grauduszus, Sie haben bundesweit alle Arztpraxen aufgerufen, diese Woche zu schließen. Worum geht es Ihnen dieses Mal bei der Aktion?
Grauduszus: Es geht darum, die Öffentlichkeit auf die drohenden Veränderungen in der Gesundheitsversorgung hinzuweisen. Wir glauben, dass der Bürger vom Apparat der Krankenkassen und der Regierung an der Nase herumgeführt wird und gar nicht weiß, was in der Zukunft auf ihn zukommt. Wir sehen nämlich, dass wir eine Industrialisierung der Gesundheitsversorgung bekommen werden, mit stark erhöhten Kosten, und eine Amerikanisierung, in der eine Zwei-Klassen-Medizin manifestiert wird. Ob diese Veränderung - weg von der wohnortnahen Versorgung durch Haus- und Facharzt in freien Praxen hin zu Medizinischen Versorgungszentren - wirklich gewollt wird bezweifeln wir stark. Deshalb fordern wir eine öffentliche Diskussion. Und ich glaube, wir haben es bereits geschafft, diese Diskussion anzuregen.
DC: Sie werfen der Bundesregierung in dem Zusammenhang vor, dass durch den Sparkurs ganz gezielt Praxen kaputt gemacht werden sollen, damit Patienten in die MVZs und in die Kliniken getrieben werden. Zeichnet sich dieser Trend schon ab?
Grauduszus: Ja. Die Unerfinanzierung der ambulanten Versorgung ist ja nachweislich. Der Anteil der Ausgaben im GKV-Bereich ist von mehr als 20% auf jetzt 15% gesunken, obwohl die Leistungsfähigkeit der ambulanten Versorgung stark gestiegen ist. Es sind viele Ärzte und Psychotherapeuten dazu gekommen. Heute werden viele Untersuchungen und Behandlungsmethoden ambulant durchgeführt, die früher stationär durchgeführt worden sind. Das heißt: hocheffektive Behandlung in der ambulanten Versorgung durch freie Praxen bei bestehender Unterfinanzierung. Und wir wissen, dass die Politik davon träumt, das Wachstum des Gesundheitsmarkts zu vergrößern. Man spricht dann von Gesundheitswirtschaft. Es soll dort in wenigen Jahren ein doppelter Umsatz stattfinden. Da ist von geringeren Kosten keine Rede mehr. Nur in unserem Bereich wird jetzt gespart. Das betrifft übrigens nicht nur die Praxen. Auch in den Krankenhäusern besteht ja eine Unterfinanzierung. Es droht uns die komplette Privatisierung der Krankenhäuser. Privatisierung heißt Industrialisierung. Wenn dann die Gesundheitsindustrie ein Kartell bilden kann, weil sie marktbeherrschende Stellung bekommt, werden von dort die Preise diktiert.
DC: Haben Sie schon einen Überblick, wie viele Kollegen Ihrem Aufruf gefolgt sind? Sie haben nach eigenen Angaben ca. 3.000 Mitglieder, haben aber bundesweit aufgerufen. Wie ist die Resonanz?
Grauduszus: Noch haben wir Gott sei Dank keine Online-Dokumentation. Deshalb liegen uns auch keine genauen Zahlen vor, aber wir schätzen, dass es zwischen 20.000 und 25.000 Praxen sind, die sich dem Aufruf anschließen. In Hamburg oder Bayern z.B. haben wir gar nicht zur Schließung aufgerufen, sondern nur zur Unterstützung des Protests. In Bayern wegen der besonderen Situation der Hausärzte, in Hamburg wegen des Ferienendes. Da kann man die Praxen nicht noch länger schließen. Die Patienten müssen ja auch versorgt werden. Wir machen solch einen Protest ja nicht, damit die Patienten nicht versorgt werden. Wir wollen der Öffentlichkeit signalisieren, wie die Zukunft aussieht, wenn die Türen der Praxen nicht mehr aufgehen werden. Genaue Zahlen liegen uns nicht vor, aber wir liegen mit Schätzungen von 20-25% sicherlich nicht zu hoch.
DC: Der Virchow-Bund hat laut des Pressesprechers eine Teilnahme seiner Mitglieder abgelehnt. Was denken Sie, werden für Zeichen gesetzt, wenn die Verbände nicht gemeinsam an einem Strang ziehen?
Grauduszus: Ich weiß nicht, was die Verbände treibt, explizit zu sagen, dass man nicht teilnimmt. Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube auch nicht, dass es im Sinne von Herrn Bittmann ist, denn die Inhalte, die wir transportieren wollen sind ja ein Konsens, auch bei den Vorsitzenden der Verbände. Vielleicht ist es auch ein bisschen Verbandsmarketing von Seiten der anderen Verbände. Das kann ich nicht beurteilen.
DC: Haben Sie schon erstes Feedback von Patienten? Haben Kollegen berichtet, wie Patienten auf die Schließungen reagiert haben?
Grauduszus: Die Patienten haben in der vergangenen Zeit schon gespürt, dass etwas in der Gesundheitsversorgung nicht stimmt. Von negativen Reaktionen können wir nicht berichten. Patienten haben Verständnis. Ich kann Ihnen zum Beispiel sagen, dass es in Bayern Patienten gibt, die sogar die kollektive Zulassungsrückgabe des Hausarztverbandes unterstützen, indem sie bei ihren eigenen Ärzten nachfragen, ob sie schon ihre Zulassung in den Korb gelegt haben. Die Mehrheit der Bevölkerung will das Weiterbestehen einer wohnortnahen Versorgung durch Haus- und Facharzt in freien Praxen. Und da finden wir große Akzeptanz.
DC: Zu den Hintergründen: Den EBM 2008 bezeichnen viele Ärzte als Musterstück der Fehlplanung. Glauben Sie, dass der Euro EBM 2009 Ihnen wirklich mehr Geld bringen wird?
Grauduszus: Wir bestreiten, dass im Jahr 2009 mehr Geld in die Praxen fließen wird. Das hat verschiedene Gründe, aber das jetzt zu erläutern geht sicherlich zu weit. Wir liegen richtig, davon sind wir überzeugt. Aber ich kann Ihnen zitieren, was die Spitzenverbands-Vorsitzende Doris Pfeiffer im letzten Oktober bei einer Veranstaltung der KBV gesagt hat. Sie sagte, es gäbe im Jahr 2009 nicht mehr Geld zu verteilen. Und Herr von Stackelberg sagte bei der gleichen Veranstaltung, es sei unverantwortlich, den Ärzten für das Jahr 2009 mehr Geld zu versprechen. Das Ministerium, Herr Knieps, hat zwar geäußert, die Ärzte hätten Anspruch auf mehr Geld und das würde die Politik auch so sehen. Aber bei der Frage, ob man sich denn darum kümmern würde, kam die Antwort: In die Verhandlungen der Selbstverwaltung, also Verhandlungen der KBV und Krankenkassen, mische sich das Ministerium natürlich nicht ein. Also wenn die Krankenkassen sagen "Wir haben nicht mehr Geld.", und es sei unverantwortlich, uns gegenüber zu behaupten, wir bekämen mehr Geld, dann glaube ich doch erst einmal den Krankenkassen. Denn von dort muss das Geld kommen. Und die KVen haben ja überhaupt kein Druckmittel gegenüber den Krankenkassen.
DC: Fühlen Sie sich nach den Erfahrungen der letzten Zeit gut von der KBV und Herrn Köhler vertreten?
Grauduszus: Das KBV-System ist der lange Arm des Ministeriums. Eine wahre Interessensvertretung können die KBV und Herr Köhler nicht darstellen. Das für mich Schlimme daran ist, dass immer wieder von dieser Seite der Eindruck erweckt wird, sie könnten die Situation noch retten. Das können sie natürlich nicht. Ich kann da an eine Ansprache von Frau Merkel erinnern, die Ende Januar bei einem Besuch von Bill Gates in Berlin gehalten wurde. Ich zitiere: Die elektronische Gesundheitskarte bringt eine Revolution in das deutsche Gesundheitswesen, wenn Krankenkassen und Ärzte direkt kommunizieren können und auf das System der KVen verzichtet werden kann. Das System der KVen ist typisch deutsch, darauf möchte ich nicht weiter eingehen. Frau Merkel hat in dieser Ansprache gesagt, wir werden keine KVen mehr brauchen. Und von daher ist das Engagement letztendlich ein Strampeln. Zwar nicht schon letzte Zuckungen, aber im Moment hat das KV-System keine wesentliche Chance. So sehen wir das und deshalb sind wir auch organisiert und machen eigene Öffentlichkeitsarbeit. Und das funktioniert ja auch ganz gut.
DC: Vielen Dank für das Interview!