Von teuren Medikamenten profitiert nur die Industrie? Pustekuchen! Eine Studie von US-Placeboforschern hat jetzt gezeigt, dass Patienten die Wirksamkeit von Tabletten auch nach ihrem Preis beurteilen. Unbemerkt, unbewusst und ob sie wollen oder nicht...
Der Verhaltensökonom Dan Ariely von der US-amerikanischen Duke University hat seine Illusionen über die Medizin längst verloren: "Ärzte denken gerne, dass es die Inhaltsstoffe sind, die ein Arzneimittel effektiv machen, aber wir sollten uns endlich mehr Gedanken über die Interaktion zwischen Arzt und Patient machen", so Ariely. Das jüngste Beispiel für die komplexen Vorgänge an dieser zwischenmenschlichen Schnittstelle lieferte Ariely selbst mit einer Studie, in der er den Placebo-Effekt von Schmerztabletten bei insgesamt 82 Probanden genauer untersuchte. Berichtet wurde darüber im Journal of the American Medical Association.
Geiz ist bei Medikamenten total ungeil
Die Untersuchung hatte ein für Placebo-Studien klassisches Design: Die Teilnehmer wurden gezielt einem Schmerzreiz ausgesetzt, in diesem Fall leichten Elektroschocks, die am Handgelenk appliziert wurden. Mit Hilfe von Standardskalen sollten sie die Schmerzintensität quantifizieren. Danach erhielten die Probanden eine Placebo-Tablette und dazu eine Broschüre, in der das angebliche Medikament genauer beschrieben wurde. Bei einem Teil der Probanden wurde die Tablette in dieser Broschüre als brandneues, frisch zugelassenes Medikament angepriesen, das einen modernen Wirkstoff enthalte und pro Tablette zwei Dollar fünfzig koste. Der Rest erhielt eine Broschüre, in der das Präparat als altes Medikament beschrieben wurde, das pro Tablette lediglich zehn Cent koste.
Das Ergebnis: Jene Probanden, denen suggeriert wurde, dass sie ein neues und teures Präparat bekamen, berichteten zu 85 Prozent von einer geringeren Schmerzintensität "nach Pille". Die Probanden dagegen, die dachten, dass sie einen 10-Cent-Oldtimer schlucken, berichteten nur zu 61 Prozent von einer Abnahme der Schmerzen. "Dieses Ergebnis passt gut in die existierenden Daten darüber wie Menschen Qualität wahrnehmen und wie sie therapeutische Effekte antizipieren", betont Ariely.
Der Wissenschaftler selbst hat am Massachusetts Institute of Technology mit eigenen Untersuchungen kräftig zu diesem Datenpool beigetragen. So hat er bereits vor zwei Jahren im "Journal of Markerting Research" über mehrere Experimente berichtet, die jenseits der Medizin zeigen konnten, dass sich die Einschätzung der Kunden über die Qualität eines Produkts innerhalb gewisser Grenzen über die Festlegung des Preises steuern lässt. Er erfand dazu ein Getränk namens "SoBe Adrenaline Rush", eine Art Red Bull, das angeblich die Hirnleistung steigere. Danach mussten die Probanden - Studenten in diesem Fall - verschiedene logische Puzzle lösen: "Es zeigte sich, dass sich ein fiktiver Preisnachlass auf ein Produkt, das angeblich die mentale Leistungsfähigkeit steigert, negativ auf die Zahl der korrekt gelösten Puzzle auswirkte", so Ariely.
Bei Medikamenten nicht zu dünn auftragen!
Es liegt auf der Hand, dass solche Ergebnisse sowohl für Ärzte als auch für die pharmazeutische Industrie nicht ganz uninteressant sind. In randomisiert-kontrollierten Studien sollte sich der Placeboeffekt zwar im Idealfall "rauskürzen". Zumindest im Postmarketing-Bereich aber dürfte sich die empfundene Effektivität durch angemessenes Pricing und entsprechende Vermarktung als modernes, innovatives Produkt doch in die Höhe treiben lassen. Umgekehrt haben Ärzte natürlich einen Hebel in der Hand: Eine ehrliche Haut, die ein altes, bewährtes und kostengünstiges Präparat genau als solches seinen Patienten schmackhaft zu machen versucht, erweist seinem potenziellen Therapieerfolg unter Umständen einen Bärendienst.
Dass Ärzte den Placeboeffekt nicht nur im suggestiven Bereich durchaus einzusetzen bereit sind, zeigt eine andere Untersuchung, die jetzt im Journal of General Internal Medizin publiziert wurde. Es handelte sich um eine Umfrage unter 466 Internisten im Großraum Chicago, von denen 231 geantwortet haben. Immerhin 45 Prozent dieser Ärzte gaben an, gelegentlich bewusst ein Placebo zu verschreiben. Interessant ist, was die Ärzte ihren Patienten dazu sagten. Ein Drittel "verkaufte" die Pseudopille mit den Worten "hier ist ein Medikament, das helfen könnte und auf jeden Fall nicht schadet". Ein weiteres Drittel sagte "hier ist eine Tablette, die hilft, aber ich weiß nicht genau, wie sie wirkt." Immerhin vier Prozent wählten den Frontalangriff und sagten ihren Patienten, dass sie ein Placebo bekommen. Ob das wohl half?