Medikamente sollen Krankheiten aufhalten, Symptome lindern oder im besten Fall heilsam sein. Sie sind so sicher und wirksam wie möglich. Dennoch sind unerwünschte Nebenwirkungen nicht auszuschließen. Die weitaus schlimmste Nebenwirkung von Medikamenten, der Tod, kommt gar nicht so selten vor, meinen schwedische Wissenschaftler.
Wer Medikamente einnimmt, ist krank und erwartet Besserung. Nebenwirkungen sind zwar weitgehend bekannt und in klinischen Studien gut untersucht und dokumentiert, doch rechnet kaum jemand mit gravierenden Nebenwirkungen oder gar dem Tod. Ärzte und Patienten verlassen sich auf die geprüfte Wirksamkeit und Sicherheit. Wie hoch der Anteil tödlicher Nebenwirkungen allerdings ist, ist unklar und nachträglich auch nicht so leicht festzustellen. Die Pharmakologin Anna Jönsson der Universität in Linköping, Schweden, und Mitarbeiter fanden in einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie heraus, dass Nebenwirkungen von Arzneimitteln in Schweden die siebthäufigste Todesursache darstellen. Ergebnisse veröffentlichte das British Journal of Medical Pharmocology.
Über 5% aller Klinikeinweisungen wegen Nebenwirkungen
Dass Nebenwirkungen nicht nur zu Arztbesuchen, sondern auch Krankenhauseinweisungen führen, ist nicht neu. Bereits die im British Medical Journal im Jahr 2004 veröffentlichte Merseyside-Studie an 18.820 Patienten hatte ergeben, dass 6,5% aller Krankenhauseinweisungen mit unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen in Verbindung stehen, wobei Nebenwirkungen bei 80% direkt zur Krankenhauseinweisung führten. Die Sterblichkeit betrug jedoch nur 0,15%, was in Anbetracht der neuen schwedischen Zahlen niedrig erscheint. Denn die schwedischen Forscher schätzen die Todeshäufigkeit für Krankenhauspatienten aufgrund von Nebenwirkungen auf etwa 5%. Wie hoch die Gesamtsterblichkeit ist, ist allerdings schwer zu ermitteln, da man sich häufig nur auf die Angaben in Totenscheinen beziehen kann und Nebenwirkungen hier kaum berücksichtigt werden, so Jönsson.
Die Wissenschaftlerin analysierte deshalb jeden siebten Todesfall, der sich im Jahr 2001 in drei verschiedenen Bezirken Schwedens ereignete. Aus den Krankenakten der Patienten ergaben sich Verdachtsfälle, die anschließend ein klinischer Pharmakologe und forensischer Pathologe überprüften.
3% der Todesfälle durch Nebenwirkungen
Bei 49 (3,1%) von insgesamt 1.574 Todesfällen hatten die Wissenschaftler den Verdacht auf eine tödliche Medikamentennebenwirkung (fatal adverse drug reaction, FADR). Ursächlich waren in fast zwei Drittel der Fälle Blutungen. Zum Tod hatten am häufigsten gastrointestinale Blutungen (37%) geführt, gefolgt von Hirnblutungen (29%), Herz-Kreiskauf-Erkrankungen (10%), anderen Blutungen (8%) und eine renale Dysfunktion (6%). Am häufigsten für die tödlichen Nebenwirkungen verantwortliche Medikamente waren Antithrombotika (63%), nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID; 18%), Antidepressiva (14%) sowie Herz-Kreislaufmedikamente (8%). Von den insgesamt 639 Todesfällen, die sich im Krankenhaus ereignet hatten, führten die Forscher 41 Fälle (6,4%) auf eine tödliche Medikamentennebenwirkung zurück.
Keine Medikamenteinnahme ist auch keine Lösung
Die Ergebnisse der Studien bedeuten nicht zwingend, dass alle untersuchten Patienten, die aufgrund einer Medikamentennebenwirkung starben, noch leben würden, hätten sie diese Medikamente nicht genommen. Diese Betrachtung beleuchte nur eine Seite der Medaille, so Simon Thomas, Mediziner der Universität Newcastle, Großbritannien. Häufig angewendete Medikamente, die Blutungen verursachen, wie etwa Antithrombotika oder NSAID, haben große Vorteile und sind für viele Patienten unverzichtbar. Den tödlichen Nebenwirkungen müsse die Anzahl von Patienten gegenübergestellt werden, die durch die Medikamente eine Lebensverlängerung erfahren und auch jene, die etwa durch die Einnahme von NSAID eine verbesserte Lebensqualität haben.
Das Risiko tödlicher Arzneimittelnebenwirkungen wird häufig unterschätzt und die medizinische Last ist hoch, schließen Jönsson und Kollegen aus den Zahlen. Ursachenforschung allerdings haben sie nicht betrieben. Sie wollen nun die Fallberichte nochmals durchkämmen, um festzustellen, welche Todesfälle vermeidbar gewesen wären. Die gegenwärtige Literatur lässt vermuten, dass dies 18% bis 70% sein könnten.