In diesen Tagen feiert das Deutsche Cochrane Zentrum (DCZ) in Freiburg zehnjähriges Jubiläum. Das Zentrum hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Medizin mit systematischen Übersichten zu versorgen. Von der Medizinwelt besonders hoch geschätzt sind die informativen und praxisnahen Reviews. Das DCZ feiert sein erstes Jahrzehnt - mit einem dicken Aufgabenheft für die kommenden Jahre.
Globale Zusammenarbeit hat sich die größte Non-Profit-Organisation zur Erstellung von Übersichten für medizinische Therapiemethoden auf die Fahne geschrieben. Diese Übersichten sollen aber nicht nur die Ansicht von Experten wie bei vielen Reviews in Fachzeitschriften widerspiegeln. Am Ende eines Cochrane Reviews hat ein Team zu einer konkreten Fragestellung alle relevanten Studien herausgesucht, bewertet, zusammengefasst und in eine verständliche Form gebracht. In der virtuellen Bibliothek der Cochrane Library sollte dann jeder Arzt Hinweise finden, welches Medikament, welche Behandlungsmethode oder welche Untersuchung sich bei dem erfragten Krankheitsbild aufgrund von kontrollierten und im Idealfall randomisierten Studien bewährt hat. "Denn", so Mike Clarke, Leiter des britischen Cochrane Centers, "ungeheure Finanzmittel werden jedes Jahr für uneffektive Gesundheitsversorgung ausgegeben, während wirksame Mittel zu wenig genutzt werden".
Rund 3.400 Reviews und 1.800 Protokolle, Vorläufer der Reviews, zählt der Bestand der Cochrane Library inzwischen, entstanden aus der Zusammenarbeit von rund 15.000 Mitglieder der Cochrane Collaboration aus etwa 100 Länder seit dem Gründungsjahr 1993. Die "Review-Groups" kooperieren dabei mit Arbeitsgruppen, die neue Methoden zur Auswertung von verschieden angelegten Studien entwickeln. Das Consumer-Network kümmert sich um die Nutzer der Übersichten. Viele Reviews enthalten inzwischen auch laienverständliche Zusammenfassungen.
Unentdeckte Studien-Schätze
Eine besondere Rolle spielen die regionalen Cochrane Zentren. Sie betreuen die Review-Groups in ihrem Gebiet, organisieren Workshops und Schulungen und sind, wenn nötig, bei der Übersetzung von Studien in der Landessprache behilflich. Einige der rund 400 Mitarbeiter des deutschen Cochrane Zentrums beschäftigen sich zum Beispiel mit der "Handsuche" nach Studien, die nicht in den großen Datenbanken zu finden und oft nur für deutschsprachige Ärzte zu lesen sind. So wurden in der "Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin" seit 1950 mehr als 500 Studien veröffentlicht, nach denen man in Medline vergebens sucht. Die allermeisten Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, die Organisation legt Wert darauf, nicht von Industriegeldern abhängig zu sein. Das Deutsche Zentrum wird von der Universität Freiburg und dem Bundesforschungsministerium unterstützt.
Experten schätzen, dass seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts bis zu einer Million Studien verschiedene Behandlungsoptionen verglichen haben. Zumindest die Zusammenfassung der Zusammenfassung in Form von Reviews ist auf den Seiten der Cochrane-Library für jeden zugänglich. Bei einem Vollzugang steht auch CENTRAL zur Verfügung, eine Literatur-Datenbank von mehr als einer halben Million kontrollierter klinischer Studien. Sowohl auf den internationalen Seiten wie auch auf den der deutschen Tochter oder den Seiten des EBM-Netzwerks von finden sich Hinweise auf Reviews mit den meisten Zugriffen oder auch auf neue und besonders interessante Reviews .
Deutsches Studienregister kurz vor dem Start
Für die nächsten Jahre hat sich das Deutsche Cochrane Zentrum ein ehrgeiziges Programm vorgenommen: Im Herbst diesen Jahres wird ein das Deutsche Studienregister zugänglich sein, ein vollständiges Verzeichnis aller klinischen Studien in Deutschland. "Die Einbindung in das globale Netzwerk läuft jetzt bereits, ebenso der Aufbau der Zusammenarbeit mit den Ethikkommissionen", so der Leiter des Deutschen Cochrane Zentrums, Gerd Antes im Gespräch mit dem DocCheck Newsletter. Um alle wesentlichen Gebiete der Medizin mit Reviews abdecken zu können, muss der jetzige Bestand etwa verdreifacht und ständig aktualisiert werden. Aktuelle Projekte sind zum Beispiel das Screening von Brustkrebs oder die Behandlung von Asthma und COPD.
Damit die Ergebnisse dieser Arbeit den Behandlern auch wirklich nützen, sollten sie im Volltext zugänglich sein. Während das in Großbritannien, Schweden oder Polen durch entsprechende Subventionen bereits möglich ist, lassen sich hier die Details der Reviews nur mit einer Privat- oder Institutslizenz öffnen. Etwa 12.000 Unterschriften unterstützen derzeit eine Petition an die Europäische Union für einen europaweiten freien Zugang der Cochrane Library für Ärzte und Patienten.
Leitlinien für die Behandlung von Krankheiten stützen sich zumeist auf die Ergebnisse von Cochrane Reviews. Dennoch fürchten viele Ärzte, mit immer mehr Regelungen, Vorgaben und Leitlinien würde der individuelle Patient immer weiter verallgemeinert und aus der ärztlichen Kunst nur mehr eine Krankheitsmanagement-Vermittlung. Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG in Deutschland hält dem entgegen: "Die wahre Kunst besteht darin zu wissen, wann und bei welchem Patienten man auch einmal von einer Leitlinie abweichen muss."