Wer das Nabelschnurblut seines Kindes spendet, kann damit einem Kranken das Leben retten. Das Einfrieren zum Eigenbedarf hingegen ist teuer und von fraglichem Nutzen. Kliniken bieten es Schwangeren trotzdem an – wohl aus Sorge, die Kundschaft ginge sonst zur Konkurrenz.
Das Blut, das bei der Geburt in der Nabelschnur fließt, ist eine ganz besondere Flüssigkeit: Es steckt voller hämatopoetischer Stammzellen. Wird es entnommen und bei -196 Grad konserviert, kann es später für eine Stammzellspende dienen. In der José Carreras Stammzellbank am Universitätklinikum Düsseldorf werden solche Spenden aufbewahrt. Erst 93 davon wurden bisher für Transplantationen innerhalb Deutschlands verwendet – hierzulande kommt Nabelschnurblut bislang noch selten zum Einsatz. Grund dafür ist das deutsche Einwohner-Melderegister. Es hat den Vorteil, dass in Knochenmarkspenderdateien registrierte Spender für die Stammzellgewinnung aus Blut oder Knochenmark sehr gut auffindbar sind. Dafür können Patienten in anderen Ländern von Nabelschnurblutspenden profitieren, denn diese können in alle Welt verschickt werden. Fast 1.300 Transplantate aus Düsseldorf kamen so bereits Bedürftigen zu Gute, seit 2001 die Zulassung für die Einlagerung erfolgte.
Gesine Kögler © privat Die Indikationen sind vor allem Leukämien, bei denen eine Chemotherapie allein nicht geholfen hat, oder es zu Rezidiven kam. Darüber hinaus Lymphome und verschiedene genetische Erkrankungen, wie die ß-Thalassämie oder Sichelzellanämie. „Das Nabelschnurblut kommt zum Einsatz, wenn sich über das internationale Netzwerk weltweit kein passender Spender von Blut- oder Knochenmarksstammzellen findet‟, sagt Gesine Kögler, Professorin und Leiterin der José Carreras Stammzellbank. „Nabelschnurblut bietet dann den Vorteil, dass das Immunsystem zum Zeitpunkt der Stammzellengewinnung noch nicht ausgereift ist. Dadurch ist eine etwas geringere Ähnlichkeit zwischen Spenderzellen und Empfängerorganismus notwendig.‟ So ist normalerweise eine größtmögliche Übereinstimmung spezieller HLA- Antigene (human Leucocyte antigen) eine der wichtigsten Kriterien für eine Transplantation. Nabelschnurblut kann aber auch dann transplantiert werden, wenn die HLA-Merkmale nicht komplett identisch sind. Die Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (graft versus host reaction) fällt viel schwächer aus als bei anderen Formen der Stammzellspende. „Ein weiterer Vorteil ist, dass eine Spende aus tiefgekühltem Nabelschnurblut innerhalb von 3- 7 Tagen verfügbar ist‟, sagt Kögler. Wer das Nabelschnurblut seines Kindes als mögliche Spende für Bedürftige weltweit zur Verfügung stellen möchte, kann das über die Düsseldorfer Stammzellbank kostenlos tun – wenn seine Geburtsklinik mit dieser kooperiert. Umgekehrt stehen die gelagerten Spenden für die wenigen Patienten in Deutschland zur Verfügung, die keinen passende Knochenmarks- oder Blutstammzellenspender finden. Die Kosten dafür werden dann von den Krankenkassen getragen.
Immer mehr Eltern entscheiden sich jedoch dafür, das Nabelschnurblut gegen Geld bei einer privaten Bank einlagern zu lassen. Ab etwa 2.000 und bis zu 5.000 Euro kostet die Einlagerung, je nachdem, für wie lange das Blut gelagert werden soll. Die eigenen Stammzellen sollen dem Kind dann im Erkrankungsfall als autologe Spende, also als Eigenspende, exklusiv zur Verfügung stehen. Im Glauben, ihrem Kind damit etwas Gutes zu tun, entscheiden sich viele Eltern für das Angebot. Auf seiner Homepage verweist etwa der Anbieter Vita 34 darauf, dass Stammzellen aus dem Nabelschnurblut schon bei Blutkrebs transplantiert wurden. Nur: Gerade bei Leukämien, den häufigsten Einsatzgebieten von Stammzellenspenden, wäre eine autologe Nabelschnurblutspende keine gute Wahl. Anders als Stammzellen eines fremden Spenders (allogene Spende) würden die sich daraus entwickelnden Immunzellen die Krebszellen nicht stark genug angreifen. Möglich wäre auch, dass Vorläufer der Krebszellen im eigenen Nabelschnurblut enthalten sind – und sie die Erkrankung später erneut ausbrechen lassen, anstatt sie zu heilen. Auch genetische Erkrankungen werden in der Regel nicht mit autologen Stammzellen behandelt, weil der Gendefekt in den Stammzellen angelegt wäre.
Entsprechend niedrig fallen die Anwendungsraten von autologen Nabelschnurblutspenden aus. Dem Jahresresport der World Marrow Donor Association von 2015 zufolge waren bis dahin von rund 750.0000 in öffentlichen Stammzellenbanken gelagerten, allogenen Transplantaten fast 45.000 Patienten transplantiert worden. Das entspricht einer Anwendungsrate von immerhin 6 %. Hingegen kamen laut einer Publikation von 2015 von über vier Millionen autolog gelagerten Präparaten gerade einmal 530 Patienten zu Gute. Die Anwendungsrate lag damit bei 0,01325%. Statt mit einer breiten Anwendung in der Gegenwart werben die privaten Anbieter-Firmen denn auch mit potenziellen Einsatzmöglichkeiten von Stammzellen in der Zukunft. Diese seien ein „Hoffnungsträger für zukünftige Therapien‟ heißt es in einer Elternbroschüre des Anbieters Vita 34. Als „denkbare Einsatzmöglichkeiten‟ werden Herz- und Kreislauferkrankungen, Krankheiten des blutbildenden Systems und Typ -1-Diabetes genannt. „Mir ist derzeit keine einzige Phase -3-Studie zur Anwendung autologer Stammzellen aus dem Nabelschnurblut bekannt‟, sagt Kögler. Zu einer Einlagerung von Nabelschnurblut rät sie dann, wenn in einer Familie bestimmte Krankheiten häufiger vorkommen und zum Beispiel ein Kind bereits an Leukämie erkrankt ist. Aus dem Nabelschnurblut eines neugeborenen Geschwisterkindes kann dann idealerweise eine passende Stammzellenspende gewonnen werden (25% der Geschwisterkinder können theoretisch HLA-identisch sein). Was viele betroffene Familien nicht wissen: In einem solchen Fall übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die Einlagerung in einer öffentlichen Bank.
Was rät Gesine Kögler Eltern, die sich dennoch eine Einlagerung von Nabelschnurblut wünschen? „Es gibt Menschen, die glauben sehr stark an den Fortschritt. Wenn jemand genug Geld hat und es für eine Investition in die Zukunft hält, rate ich daher weder zu noch ab. Eltern müssen aber bei einer kostspieligen Einlagerung nach dem Stand der Wissenschaft informiert werden.‟ Marcel Heim © privat Marcell Heim war langjähriger Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie an der Otto von Guericke Universität Magdeburg. Wie schätzt er die Chancen ein, in Zukunft mit eigenem Nabelschnurblut Volkskrankheiten wie Herz-Kreislaufleiden oder Diabetes zuheilen? „Bis solche Anwendungsmöglichkeiten erforscht wären, wäre vermutlich jede Art von Stammzelle dafür einsetzbar – und eine autologe Spende nicht zwingend nötig‟, sagt der Professor. „Ich sehe keinen medizinischen Vorteil in der Gewinnung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut, der durch große Studien belegt wäre – sonst würde man es ja öfter machen.‟ Ohnehin würden dabei nur geringe Mengen an Stammzellen gewonnen, die als Spende nur für Kinder mit einem Gewicht bis 15 oder 20 Kilo geeignet sind. In den USA werden dann heute schon häufig zwei Nabelschnurblutspenden für einen Erwachsenen verwendet. Zwei immunologisch passende zu finden, sei aber schwieriger, sagt Heim. Und die Gabe von nicht ganz passenden Nabelschnurbluttransplantaten bei Erwachsenen sei „immer eher eine Notlösung.‟
Heim sieht Stammzellen im Allgemeinen auch nicht als Hoffnungsträger für neue Therapien gegen Krebs, erst recht nicht Nabelschnurblut. So seien vor einigen Jahren Versuche zur Brustkrebstherapie sowohl mit autologen wie mit allogenen Stammzellen eindeutig gescheitert. „Die Zukunft der Krebstherapie liegt meiner Einschätzung nach nicht in der Behandlung mit Stammzellen, sondern in Immuntherapien, bei denen T-Zellen angeregt werden den Tumor hoch selektiv zu attackieren.‟ Tatsächlich wird die kommerzielle Einlagerung von Nabelschnurblut auch über die Frauenklinik des Universitätsklinikums Magdeburg angeboten, es kooperiert mit mehreren privaten Anbieter. Geschuldet sei das auch der Konkurrenzsituation zwischen Krankenhäusern, sagt Heim. Das Angebot werde nun einmal nachgefragt, und man wolle verhindern, dass Eltern sich deshalb eine andere Klinik suchen. Offenbar scheinen private Anbieter von der engen Zusammenarbeit mit Universitätskliniken zu profitieren. So ist die Firma Seracell als Ausgründung der Universität Rostock entstanden. Mitgründer und Vorstand ist ein ehemaliger Professor der Uni, neben der kommerziellen Einlagerung betreibt Seracell Forschung. In einem Video wirbt die Firma selbst damit, dass im Klinikum Südstadt, dem Lehrkrankenhaus der Uni Rostock, heute schon bei jeder zehnten Geburt Nabelschnurblut entnommen werde – und damit weitaus häufiger als im Bundesdurchschnitt.
Viele Fachverbände kritisieren seit Jahren die kommerzielle Einlagerung von Nabelschnurblut. Die European Group on Ethics in Science and New Technologies (EGE), ein Ratgeberorgan der EU, hatte sich in einem Positionspapier schon 2004 deutlich zu dem Thema geäußert. Die Wahrscheinlichkeit, dass autologes Nabelschnurblut in Zukunft von Nutzen sei, sei höchst hypothetisch‟, heißt es dort, und „die Legitimation der kommerziellen Banken sei in Frage zu stellen‟, weil sie derzeit „keinen wirklichen Nutzen in Bezug auf therapeutische Optionen biete.‟ Selbst wenn autologe Transplantate in Zukunft eingesetzt würden, sei nicht erwiesen, dass eine eingelagerte Eigenspende besser geeignet sei, als eine später aus dem Knochenmark gewonnene oder eine gut passende Fremdspende.