Der ungarische Pharmakologe Nikolaus Jancso war einer der ersten, der Capsaicin, den scharfen Stoff aus Chili und Paprika, isolierte, um damit zu experimentieren. Er legte damit den Grundstein für Capsaicin-Forschung in der Medizin, unter anderem an der Grazer Uni. Die Schmerztherapie mit dem Chili-Extrakt erlitt jüngst allerdings herbe Rückschläge.
Capsaicin als Alarmsystem der Magenschleimhaut
Auf das Konto von Jancso geht auch die Feststellung, dass ausschließlich Nozizeptoren, schmerzleitende Nervenfasern, von Capsaicin stimuliert werden. Das war Anfang der Achtziger. Seitdem setzen Forscher auf die vielversprechenden Einsatzmöglichkeiten des Wirkstoffs in der Schmerztherapie. Professor Dr. Peter Holzer, Leiter der Forschungseinheit für Translationale Neurogastroenterologie am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Graz, beschäftigt sich seit gut drei Jahrzehnten mit Capsaicin. In den 80ern konnten er und sein Team sensible bzw. nozizeptive Nervenfasern als wichtiges Alarmsystem der Magenschleimhaut identifizieren. Möglich wurde diese Entdeckung durch Capsaicin. DocCheck sprach mit dem Grazer Professor.
Capsaicin verteidigt Magen gegen schädliche Stoffe
Die Erforschung des Alarmsystems ist laut Holzer wichtig, weil davon auszugehen ist, dass eine Dysfunktion speziell im Alter zu Gastritis und Ulkus führen kann. Der Pharmakologe setzt auf eine medikamentöse Stärkung des Schutzmechanismus. Experimentelle Studien am Grazer Institut hatten gezeigt, dass Capsaicin die Widerstandsfähigkeit bzw. den Verteidigungsmechanismus der Magenschleimhaut gegenüber Aspirin, Alkohol oder Säure verstärkt. Zu gleichen Ergebnissen kam eine Studie in Singapur, bei der Menschen mit dem Chiliextrakt behandelt wurden. Die schützende Wirkung entsteht, wenn die Schmerz- und Säure-Sensoren in der Magenschleimhaut mit Capsaicin stimuliert werden. Dadurch steigt die Magendurchblutung und lokale Schutzmechanismen werden aktiviert.
Capsaicin-Rezeptor als Waffe gegen Schmerz
In einer ersten großen Forschungswelle weltweit fand man auch heraus, dass Capsaicin-empfindliche Nerven eine zentrale Bedeutung für den Entzündungsschmerz haben. Gastritis und Ulkus sind häufig mit Unwohlsein und Schmerz verbunden. Die gleichen Symptome können auch bei einem Reizmagen, einer funktionellen Dyspepsie, auftreten. Wie der Magenschmerz entsteht, ist weitestgehend unbekannt. Aber als in den späten 90ern der Capsaicin-Rezeptor, TRPV1 genannt, dingfest gemacht wurde, sprachen alle von einem wichtigen Durchbruch in der Schmerztherapie. Dieser Rezeptor kommt überall da vor, wo Schmerzen entstehen können, wie beispielsweise in der Haut, im Muskel, im Herzen oder im Magen und Darm. Es ist ein ganz wichtiger Sensor, so Holzer, der durch Hitze oder Säure ausgelösten Schmerz vermittelt. Aber er sei wesentlich komplexer als bisher angenommen, wie jüngste Forschungsergebnisse bestätigen.
Probleme mit den ausgeschalteten Schmerz-Rezeptoren
In einer zweiten Forschungswelle wurden sehr viele Antagonisten entwickelt, mit denen TRPV1-Rezeptoren in ihrer Funktion still gelegt werden. Auf diese Weise kann chronischer Entzündungsschmerz gelindert werden, erläutert Holzer. Schon vorher hatte man gesehen, dass sich schmerzhafte Hautkrankheiten wie Juckreiz oder Gürtelrose nach vorübergehender Ausschaltung von capsaicinempfindlichen Nerven bessern. Aber es handelt sich dabei immer um eine symptomatische Behandlung, berichtet der Pharmakologe. Das heißt, die Ursache bleibe bestehen, nur die Schmerzwahrnehmung werde unterdrückt. Da auch der Schutzmechanismus, der beispielsweise im Magen die Durchblutung anregt, lahm gelegt werde, stelle sich die Frage, ob diese Therapie erstrebenswert ist.
Ein weiteres ungelöstes Problem wurde vor einem Jahr festgestellt. In Phase-I-Studien erhöhte sich bei einigen Testpersonen die Körpertemperatur auf bis zu 40 Grad. Die Reaktionen sind individuell sehr unterschiedlich, erklärt der Grazer Professor. "Die Herausforderung bei allen TRPV1-Antagonisten ist, einen Weg zu finden, die unerwünschten Funktionen des Capsaicin-Rezeptors (Schmerz) auszuschalten, aber gleichzeitig die erwünschten Funktionen (Schleimhautschutz, Temperaturregulation) zu erhalten. Die bisherigen Ergebnisse sind zwar insgesamt hilfreich, die Zusammenhänge der Schmerzübertragung besser zu verstehen. Aber man muss sehr viel subtiler und differenzierter bei der Erforschung von Schmerztherapien vorgehen." Aus seiner Sicht wird es noch mindestens fünf Jahre dauern, bis Antagonisten ohne gravierende Nebenwirkungen zur Verfügung stehen.
Selektivität von Capsaicin in Frage gestellt
Ein weiterer Dämpfer für die Schmerzforschung kam gerade aus der Brown-Universität im US-Staat Rhode-Island. Forscher um Helen Gibson und Julie Kauer haben herausgefunden, dass der TRPV1-Rezeptor nicht nur Schmerz registriert sondern auch an der Speicherung von Erinnerungen beteiligt ist. In Versuchen mit Nagetieren zeigte sich, dass die Gedächtnisbildung beeinflusst wird, wenn der Rezeptor lahm gelegt wird. Da zeichnet sich noch erheblicher Forschungsbedarf ab. Trotzdem sei allen Chili-Fans gesagt, dass scharf gesund ist und sogar den Verteidigungsmechanismus der Magenschleimhaut laut Holzer verbessert.