In wenigen Wochen wollen die Chinesen der Welt zeigen, wie man Olympiaden perfekt organisiert. Aber nicht nur die Athleten bereiten sich vor - auch Mikroorganismen wollen ihren Teil zu den Wettkämpfen beitragen. Zur Zeit breitet sich in Peking eine Enteroviren-Epidemie aus. Virologen streiten über die Ähnlichkeit zu ähnlichen Epidemien vor rund 100 Jahren.
SARS-Gerüchte
Weder Erdbeben mit Seuchengefahr noch Bevölkerungsaufstand passen in eine solche Planung - und dann spielt auch noch ein Virenstamm verrückt, der sich normalerweise bei einer Infektion kaum bemerkbar macht. Auch wenn 43 Tote für das große Land im Vergleich zu den Katastrophenopfern noch recht harmlos klingen - die Epidemie der Hand-Fuss-Mund-Krankheit hat inzwischen die Hauptstadt erreicht. Dort starb in den letzten Tagen ein 13 Monate alter Junge. In der Olympiastadt zählen die Gesundheitsbehörden seit Anfang des Jahres rund 3600 Infektionen, im ganzen Land rund zehn mal so viel. "Eine weitere Ausbreitung der Infektionskrankheit muss verhindert werden, um den reibungslosen Ablauf der Olympischen Spiele zu garantieren" , wird Chinas Gesundheitsministerium zitiert. Riskieren also Besucher der Spiele ihre Gesundheit?
Während im Erdbebengebiet die Hilfe recht schnell vor Ort war, haben sich die Behörden mit Information und Hilfe im Zentrum der Epidemie, der 9-Millionen-Stadt Fuyang etwa 800 Kilometer südlich von Peking wohl viel Zeit gelassen. Schnell bereiteten sich daher Gerüchte aus, es handle sich um eine zweite SARS-Epidemie. Zur Erinnerung: 2003 forderte der Virus im Süden Chinas rund 800 Opfer und bedrohte auch den Rest der Welt. Auf den ersten Blick scheint die Gefahr dieses Mal nicht ganz so groß zu sein.
Enger Verwandter: Polio
Denn der Erreger ist das an und für sich harmlose humane Enterovirus 71 (EV71). Die humanen Enteroviren bilden zusammen mit Coxsackie- Echo- und Polioviren die Gattung der Enteroviren, die wiederum zu den Picornaviren gehört. 1969 gelang es, aus einem kalifornischen Isolat zum ersten Mal dieses Virus zu isolieren, das weltweit verbreitet ist. Bis zu 70 Prozent aller Infektionen verlaufen asymptomatisch. Ansonsten treten nach einer Inkubationszeit von drei bis sechs Tagen ein Unwohlsein und manchmal auch Fieber mit Bläschen im Mundbereich, auf Fuss und an der Hand auf (daher der Name der Krankheit), die nach einer Woche folgenlos abheilen. Gelegentlich gelangt das Virus auch in das zentrale Nervensystem. Dort führt die Infektion - meist immer noch ohne bleibende Folgen - zu Meningitis oder Enzephalitis. Fast ausschließlich bei Kindern unter sechs Jahren zeigt sich in einigen Fällen dann aber doch der gemeinsame Stammbaum mit dem weitaus bekannteren Verwandten, dem Polio-Virus. Denn im Hirnstamm, dem Kleinhirn und dem Rückenmark verursacht das Enterovirus eine Vielzahl von motorischen Defekten wie Paresen, Tremor oder Ataxie. Die Viren im Nervensystem bedrohen dann das Leben des jungen Patienten und führen im schlimmsten Fall zum Tod durch ein neurogenes Lungenödem.
Das Virus hat schon vor langer Zeit alle Erdteile erobert. Auch in Bulgarien und Ungarn verbreitete sich EV71 in den 70er Jahren. Warum besonders China und Taiwan mit mehreren großen Ausbrüchen und vielen Toten in den letzten Jahren betroffen sind, darüber wird nach wie vor heftig diskutiert. Möglicherweise sind es ganz banale Umstände wie die mangelnde Versorgung betroffener Kleinkinder.
Zufällige Ähnlichkeiten?
Eine Epidemie am anderen Ende der Welt - zwar gibt es auch in Deutschland immer wieder Infektionen, sie verlaufen aber fast immer harmlos. Damit könnte man die Sache EV71 eigentlich zu den Akten legen. Genau aber davor warnt der Kinderarzt John Modlin von der Dartmouth Medical Scchool im amerikanischen New Hampshire in einem Artikel für das New England Journal of Medicine. Die charakteristischen, wenn auch seltenen Läsionen im kindlichen Hirnstamm erinnerten ihn stark an Polio-Infektionen. "Vor einhundert Jahren hatten nur wenige Menschen von Poliomyelitis gehört, die Welt erlebte nur wenige rätselhafte paralytische Polio-Ausbrüche in wenigen Jahrzehnten". Dass die Krankheit in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert gerade in den aufstrebenden Industrienationen so viele Opfer forderte, war nicht abzusehen.
Für EV71 gibt es zur Zeit keine Therapie, die Entwicklung von Impfstoffen steckt erst in den Anfängen. Dennoch kein Grund zu Panik. "Die Ähnlichkeit der aktuellen Hand-Fuss-Mund-Epidemie mit früheren Polio-Ausbrüchen sehe ich nicht so", sagt Eckart Schreier vom Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren am Robert-Koch-Institut auf die entsprechende Frage von DocCheck. Wenn sich der Kontakt von Touristen auf Erwachsene beschränkt und Hygieneregeln beim Essen eingehalten werden, bestehe keine Gefahr für Chinareisen, so das Berliner Institut. Dennoch will das chinesische Gesundheitsministerium verhindern, dass am Ort der Spiele Kinder an einer Enteroviren-Infektion sterben oder mit bleibenden Lähmungen das Krankenhaus verlassen. Handbücher mit entsprechenden Hinweisen werden in einer Auflage von 500.000 Stück besonders für Wanderarbeiter gedruckt. Denn Experten meinen, dass der Höhepunkt der Epidemie erst im Juni oder Juli erreicht werde. Nicht mehr viel Zeit, um den Bedrohungen Herr zu werden, die von allen Himmelsrichtungen auf die Hauptstadt Chinas einstürmen, um den herzlichen Geist Olympischer Spiele zu stören.