Der Wirkstoff Epothilon gehört zu den großen Hoffnungsträgern der Krebsmedizin und soll demnächst auch hierzulande auf den Markt kommen. Doch gegenüber vielen anderen Blockbustern ist Epothilon eine Story für sich: Die zeigt auch, dass Deutschland auf dem Gebiet der Arzneimittelforschung punkten kann - mit eigenen Forschungseinrichtungen, ohne Milliardenkosten in der Entwicklung - und dennoch interessant für die Industrie.
An die Probe 510 können sich der Chemiker Gerhard Höfle und der Biologe Hans Reichenbach vom Helmholtz Zentrum für Infektionsbiologie in Braunschweig (HZI) noch heute erinnern. Ein bisschen Erde von den Ufern des Sambesi, ein wenig Afrika-Feeling nach all den Jahren. Doch in den von Reichenbach mitgebrachten, sandigen Bodenproben des Jahres 1985 lebten Bakterien, die Naturstoffe produzieren, die den Krebs bekämpfen: Epothilone.
Erfolg durch Glück und Hartnäckigkeit
Tatsächlich wussten die Forscher am Vorgängerinstitut des heutigen HZI, der Gesellschaft für Biotechnologischen Forschung (GBF), zunächst nur, dass Bakterien generell weit über 100.000 Naturstoffe produzieren, um sich lästige Feinde vom Hals zu halten, oder um genetische Informationen untereinander auszutauchen. Für Mediziner sind derartige Zusammenhänge ebenfalls kein Novum, gehören doch Antibiotika wie Penicilline und Cephalosporine zum Repertoire der Naturstoffchemie. Auch Blutdrucksenker vom Mevinolin-Typ sind auf derartige Substanzen zurückzuführen. Doch wirken Bakterien-Proteine gegen Krebs?
Dass die Bazille Sorangium cellulosum So ce90 in erster Linie die Epothilone A und B produziert, schien zunächst eine Erkenntnis staubtrockener Grundlagenforschung zu sein. Auch die Strukturaufklärung - das Molekül enthält die Gruppen Epoxyd, Thiazol und Keton - begeisterte zunächst allenfalls hartgesottene Organiker. Trotzdem gingen die Wissenschaftler routiniert voran. "Dass aus Epothilon ein vielversprechendes Krebsmedikament werden konnte, ist eine gelungene Mischung aus Glück, Hartnäckigkeit, Ideenreichtum und natürlich Fleiß", resümiert heute das HZI. Tatsächlich gelang es den Forschern um Heinrich Steinmetz und Herbert Irschick im Jahr 1996, die Substanz ganz ohne Bakterien zu synthetisieren - und auf diese Weise den Wirkstoff in größeren Mengen zu gewinnen.
Denn die Hans Reichenbach mitgebrachte Probe 510 enthielt zwar einen von 1700 Bakterienstämmen, die genau das "richtige" Epothilon absonderten, nur: der Wildstamm produzierte lediglich einen Milligramm pro Liter Bakterienflüssigkeit. Zu wenig, um wirklich an die Erforschung von Arzneimitteln zu denken.
Erfolg schreckt ab
Erst die 1996 geglückte Totalsynthese der Substanz veränderte die Lage. Doch am HZI (damals GBF) lag die Akte Epothilon in verstaubten Regalen, die Arbeit schien erledigt: Sowohl die Struktur, als auch die Totalsynthese stellten keine Rätsel mehr dar. Erst der Zufall brachte den eigentlichen Durchbruch zur Entwicklung des Brustkrebsmedikaments. Zur gleichen Zeit suchte nämlich das US amerikanische Pharmaunternehmen Merck Sharp & Dohme nach einem Wirkstoff, der ähnlich wirken sollte wie die bekannte Substanz Paclitaxel. Weil es sich dabei ebenfalls um einen Naturwirkstoff handelte, experimentierte der Pharmakonzern mit 7000 Rohextrakten aus Pflanzen und Mikroben - darunter auch Sorangium cellulosum. Glückliche Erkenntnis der Amerikaner: Nur diese Mikroorganismen zeigten im sogenannten Tubulin-Assay eine Wirkung auf Krebszellen. Epothilone wirken nämlich auf die Mikrotubuli in den Zellen. Der Clou: Kommen Epothilone in die Zelle, blockieren sie die Mikrotubuli, und die Teilung der Krebszellen bleibt aus - die Tumore schrumpfen und verschwinden.
Ausgerechnet dieser sensationelle Erfolg schreckte jedoch den Pharmakonzern ab. Denn entgegen der üblichen Praktiken lagen die Rechte an der Substanz bei einer öffentlichen Großforschungseinrichtung in Deutschland, und nicht in den Pipelines des eigenen Unternehmens. Normalerweise wäre die Geschichte des Epothilon genau an dieser Stelle zu Ende, nur: Für die Macher am heutigen HZI bedeutete der Ausstieg der Amerikaner den Start einer findigen Taktik. Sie suchten nun nicht mehr nach weiteren Potenzialen der Substanz, sondern nach anderen Pharmapartnern. Schließlich stieg Bristol Myers Squibb (BMS) ein. Die GBF (heute HZI) produzierte fortan ausreichende Mengen der Substanz, BMS optimierte diese zum endgültigen Medikament.
Globaler Retter?
Womöglich avancieren Großforschungseinrichtungen á la HZI langfristig zum Steigbügelhalter der Pharmagiganten. Denn der Output der Pharmaindustrie ist trotz immenser Kosten für Forschung und Entwicklung (F&E) eher mau - was sich in einer schwindenden Anzahl marktreifer neuer Präparate ausdrückt. Zudem setzt ausgerechnet vielen Branchengrößen ein weiterer Aspekt zu: Der Patentschutz für zahlreiche Präparate, die in den 90er Jahren auf den Markt kamen, wird in den nächsten Jahren auslaufen. Nur vier der weltweit zehn größten Pharmaunternehmen haben derzeit genügend Produkte in ihrer Pipeline, um auslaufende Patente und den damit verbundenen Verlust an Einnahmen auszugleichen, wie die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in ihrer PwC-Studie "Pharma 2020" analysierte. Ungewohnt hart bringen die Analysten die Sache auf den Punkt: Die "Ära der Blockbuster geht zu Ende", heißt es in dem Papier. Dass kostengünstige Gesundheitsforschung über öffentliche Einrichtungen und anschließender Pharmavermarktung funktionieren, verdeutlich das Ende der Epothilon-Geschichte: Im Oktober 2007 ließen US amerikanische Behörden das Mittel als Brustmedikament zu, in Europa wird es voraussichtlich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres zugelassen. Zur Sensation indes fehlt noch das Tüpfelchen auf dem I - Einrichtungen wie das HZI müssten in Zukunft auch am wirtschaftlichen Verkaufserfolg ihrer Produkte partizipieren dürfen. Denn sonst könnte man sich fragen, warum die wirtschaftliche Zukunft der Pharmaindustrie ausgerechnet mit öffentlichen Geldern gesichert wird.