Der eine hat's, der andere nicht: Die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen. Doch diese so genannte fluide Intelligenz ist entgegen der landläufigen Meinung nicht angeboren - und kann durch ein spezielles Trainingsprogramm sogar gesteigert werden. Für Ärzte rückt ein neues Therapietool in greifbare Nähe.
Der Gang ins Fitnessstudio kostet rund 60 US Dollar, doch wer in San Francisco das "Vibrant Brain" besucht, bekommt keine Hanteln in die Hand gedrückt, sondern virtuelle Gewichte für die geistige Fitness: Bunte Figuren auf Bildschirmen sollen das Gehirn der zahlenden Klientel ins Schwitzen bringen. Die jüngste kommerzielle Umsetzung freilich entpuppt sich als eher klassische Variante des altbekannten Gehirnjoggings - trainiert werden bestimmte Fähigkeiten und einzelne kognitive Gebiete, mehr aber auch nicht.
Das kann sich in Zukunft ändern. Dass Menschen in vollkommen neuen Situationen schnell und vor allem korrekt reagieren, lässt sich nämlich mit Hilfe eines speziellen Programms trainieren, wie Wissenschaftler der Uni Bern unlängst herausfanden. In einer Studie ließen die Forscher um Walter Perrig vom Institut für Psychologie der Universität Bern Versuchspersonen zunächst einen Vortest mit einem Standardverfahren zur Erfassung ihrer fluiden Intelligenz machen. Danach trainierten die Probanden entweder 8, 12, 17, oder 19 Tage lang mit der eigens dazu entwickelten Trainingsaufgabe des Programms, und das hatte es in sich.
Flüssige Intelligenz ist lernbar
Die Teilnehmer mussten nämlich geometrische Figuren auf einen Monitor beobachten, während sie über einen Kopfhörer akustisch Buchstaben vernahmen. Nach drei Sekunden wechselten sowohl die eingespielten Buchstaben, als auch das dazu übertragene Bild. Der Clou: Bei jeder Wiederholung einer bereits durchlaufenen Kombination mussten die Teilnehmer einen Knopf drücken - je weniger Fehler sie machten, umso größer wurden auch die Abstände zu den jeweiligen Wiederholungen.
Erstaunliche Erkenntnis: Das Programm vermag auf diese Weise ausgerechnet das Arbeitsgedächtnis zu trainieren - und bereitet das Gehirn auch für andere, noch unbekannte Aufgaben vor. Tatsächlich gilt das Arbeitsgedächtnis als wichtigster Ort für die vorübergehende Speicherung jener Information, die bei der weiteren Planung, Koordination und der Durchführung von Aufgaben benötigt werden. Selbst die Hemmung störender oder unwichtiger Einflüsse findet in diesem kognitiven Bereich statt.
Mit Ende des Trainings testeten die Schweizer Wissenschaftler ihre Versuchspersonen auf die fluide Intelligenz, und verglichen die Leistungen mit jenen von untrainierten Gruppenmitgliedern. Zwar brachte der Übungseffekt auch bei den untrainierten eine gewisse Steigerung. Doch im Vergleich dazu wiesen die speziell trainierten eine deutlich gesteigerte fluide Intelligenz auf.
"Interessant dabei ist, dass die Aufgaben des Trainingsprogramms sich völlig unterscheiden von denen des fluiden Intelligenztests", erklärt Walter Perrig von der Uni Bern das wesentliche Merkmal des Verfahrens, und: "Wir gehen davon aus, dass ein Transfer von den im Arbeitsgedächtnis trainierten Prozessen auf die Intelligenz stattfindet - dass also unser Programm Prozesse im Gehirn verbessert, welche für die Aufgabenlösung in vielen Bereichen relevant sind".
Perspektiven im Reha-Bereich
Die Chancen für eine Etablierung des Verfahrens in der Medizin stehen gut. Gerade im Bereich der Rehabilitation eröffnen sich womöglich vollkommen neue Möglichkeiten. Denn Neurologen und Psychologen unterteilen die Intelligenz in eine fluide und in eine kristalline Komponente. Während die kristalliner Intelligenz den Gebrauch von Wissen, Fertigkeiten und Erfahrung steuert, ist die fluide Komponente für die Lösung neuer Probleme zuständig - und erlaubt dem Menschen, sich an "generell an neue Situationen anzupassen", wie die Berner nun schreiben.
Das Einsatzpotenzial des Trainingsprogramms jedenfalls scheint auf Grund solcher Zusammenhänge unerschöpflich: Ob lernschwache Kinder oder Menschen nach einem Schlaganfall, durch das Neurotraining könnten sie alle lernen, effektiv und besser mit der unliebsamen Situationen umzugehen - und diese letztendlich erfolgreich zu meistern.