Längst hat Kurkuma den Schritt aus der Erfahrungsheilkunde hin zur evidenzbasierten Medizin geschafft. Magen-Darm-Erkrankungen, Rheuma, kognitive Störungen – die Liste möglicher Einsatzgebiete ist lang. DocCheck hat untersucht, ob Ärzte solchen Studien trauen dürfen.
Hierzulande kannte man Kurkuma (Curcuma longa) bis vor einigen Jahren hauptsächlich von der Gewürzmischung Curry: Ihr verleiht es seine gelbe Farbe, und das, obwohl es gerade mal zu fünf Prozent darin enthalten ist. Doch dann startete das Ingwergewächs, auch Gelbwurzel oder Safranwurzel gennant, richtig durch: Man findet es inzwischen in unzähligen Rezepten, außerdem ist nach Chai Latte und Matcha Latte nun auch Kurkuma Latte ein Trendgetränk. Über die positive Wirkung von Kurkuma auf die Gesundheit berichten aber nicht nur Lifestylemagazine. Auch immer mehr Wissenschaftler nehmen sich der Wurzel in Studien an. Postuliert wird eine Wirkung bei Magen-Darm-Erkrankungen, kognitiven Störungen und sogar Krebs. Was ist dran?
Verantwortlich für die zahlreichen medizinischen Wirkungen ist hauptsächlich das gelbe Polyphenol Curcumin. C. longa enthält Curcumin (Curcumin I), Monodesmethoxycurcumin (Curcumin II) und Didesmethoxycurcumin (Curcumin III). Curcumin wirkt stark antioxidativ, fängt Sauerstoff- und Stickstoffradikale ab und verhindert die Oxidation von Cholesterin. Außerdem hemmt es zahlreiche Entzündungsparameter wie Prostaglandine, Zytokine, Chemokine, Adhäsionsmoleküle, Wachstumsfaktoren und Transkriptionsfaktoren, so zahlreiche Studien, u.a von Mazieiro et al. Durch die Modulation zytokiner Signalwege sowie durch seine antioxidative Wirkung ist Curcumin geeignet, erfolgreich bei chronisch entzündlichen und degenerativen Erkrankungen eingesetzt zu werden.
Ein Problem bei der Resorption von Curcuminen: Die Extrakte sind kaum wasserlöslich und damit sehr schlecht bioverfügbar. Um die Bioverfügbarkeit zu erhöhen, wurde eine Vielzahl von galenischen Formulierungen wie Nanopartikel, Liposomen, Mizellen und Phospholipidkomplexe entwickelt. In einer Studie wiesen Anand et al. nach, dass schwarzer Pfeffer die Bioverfügbarkeit um beachtliche 2.000 Prozent steigert. Auch in einer tierexperimentellen Studie von Chen et al. wurde die Halbwertzeit und die Spitzenkonzentration von Curcumin untersucht, wenn die Ratten sechs Stunden vor der Gabe Extrakt von schwarzem Pfeffer erhielten. Die Bioverfügbarkeit wurde erheblich verbessert. Es ist jedoch fraglich, ob diese Versuche auf den Menschen übertragbar sind und ob es der Adhärenz dient, wenn sechs Stunden vor dem eigentlichen Phytopharmakon ein anderes genommen werden muss.
Phytopharmaka haben es sehr schwer, in einer Leitlinie genannt zu werden, gar in einer S-3 Leitlinie, und dann auch noch positiv monographiert. Dies ist in der aktuellen S-3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa“ komplementär zu Mesalazin geschehen. In einer prospektiv, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Multicenterstudie von Hanai et al. wurde 2 × 1 g täglich Curcumin komplementär zu Sulfasalazin oder Mesalazin in der remissionserhaltenden Therapie bei Colitis ulcerosa über einen Zeitraum von sechs Monaten untersucht. Im Vergleich zu Placebo reduzierte Curcumin die Zahl der Rückfälle nach sechs Monaten signifikant von 18,2 Prozent auf 4,4 Prozent. Nach Absetzen von Curcumin verringerte sich der Unterschied in der Follow-up-Periode wieder allmählich. Der endoskopische Befund verbesserte sich während der Therapiephase unter Curcumin hochsignifikant, während er sich in der Placebo-Gruppe verschlechterte. In einer Studie von Holt et al. nahmen 10 Erwachsene über zwei Monate lang täglich 1.100-1.650 mg Curcumin zusätzlich zu einer Standardtherapie ein. Es trat eine deutliche Symptombesserung ein und die Standardmedikation konnte reduziert oder sogar abgesetzt werden. Eine Studie von Ali et al. unterstützt diese Ergebnisse. Eine weitere offene, unkontrollierte Pilotstudie von Suskind bestätigte die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Untersucht wurde allerdings nur eine kleine Gruppe von 11 Kindern und Jugendlichen von 11-18 Jahren. Über einen Zeitraum von 9 Wochen hinweg nahmen sie Curcumin mit steigenden Dosierungen von 2 g auf 6 g täglich. „Allerdings bedarf es weiterer und deutlich breiter angelegter Studien, um eine abschließende Beurteilung hinsichtlich der Wirksamkeit von Curcuma bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vornehmen zu können“, so das Resümee der Schweizer Arbeitsgruppe von Scharl et al.
Der Effekt von Curcuma longa bei dyspeptischen Beschwerden beruht auf einer Steigerung des Gallenflusses. Dieser und die Menge der Gallensäuren werden nachweislich gesteigert. Deutlich abzugrenzen ist Curcuma longa von Curcuma xanthorrhiza, der Javanischen Gelbwurz, die nicht diese ausgeprägte choleretische Wirkung aufweist. Die Dosisempfehlung der Kommission-E-Monographie ist 1,5 bis 3 g, und damit deutlich geringer als für die antientzündliche Wirkung bei Rheuma-, Darm- und Hauterkrankungen. Curcumapräparate dienen hier als Ergänzung bei gallebedingten, dyspeptischen Beschwerden. Zusätzlich wird auch der LDL-Wert gesenkt. Die Hauptsymptome Völlegefühl, schmerzhafte Beschwerden im Oberbauch sowie Blähungen sind Indikationen für die Anwendung von Curcuma longa. Für die choleretische und cholekinetische Wirkung von Curcuma longa sind vermutlich nicht die Curcuminoide selbst verantwortlich. Aus ihnen werden im Gastrointestinaltrakt Zimtsäurederivate freigesetzt, die ebenfalls ein hohes antioxidatives Potenzial besitzen. Auch das enthaltene ätherische Öl wirkt zusätzlich choleretisch.
Außerdem ist Curcumin dazu in der Lage, den Knochenabbau zu senken. Es mindert die Osteoklastenaktivität, in dem es die Konzentration von RANKL (receptor activator of nuclear factor-kappaB ligand) im Knochenmark senkt. Die Erkenntnisse beruhen auf einer Studie von Choi et al. RANKL reguliert vor allem die Bildung und Aktivität von Osteoklasten und die Resorption von Knochen. Kim et al. wiesen nach, dass Curcumin einem Estrogenmangel entgegenwirkt und damit den Abbau von Knochensubstanz zusätzlich mindert. Bei regelmäßiger Einnahme von optimierten Curcuminpräparaten bessern sich Schmerzen, Beweglichkeit und Entzündungsparameter bei Arthritis signifikant, so Henrotin et al. Auch bei Osteoarthritis können Curcuminpräparate hilfreich sein, ist in einer weiteren Studie von Chin et al. nachzulesen. In einer Studie von Panahi et al. wurde die Wirkung von Curcuminoiden mit Piperin, dem Hauptalkaloid des schwarzen Pfeffers, als Adjuvant gegen Placebo bei Arthrosepatienten untersucht. Oxidativer Stress ist an der Pathogenese dieser Erkrankung beteiligt. Curcuminoide sind natürliche Polyphenole mit starker antioxidativer Kapazität und können daher bei der Behandlung von Arthrose hilfreich sein. In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit von Curcuminoiden bei der Reduktion der systemischen oxidativen Belastung bei Patienten mit Kniearthrose untersucht. Vierzig Patienten mit leichter bis mittelschwerer primärer Kniearthrose erhielten über einen Zeitraum von 6 Wochen Curcuminoidkapseln (1500 mg/Tag in 3 Dosen n = 19) oder angepasste Placebo-Kapseln (n = 21). Curcuminoide wurden zusammen mit Piperin (15 mg/Tag) verabreicht, um die Bioverfügbarkeit zu verbessern. Die Serumaktivitäten der Superoxiddismutase (SOD) und die Konzentrationen von reduziertem Glutathion (GSH) sowie Malonedialdehyd (MDA) wurden zu Beginn und am Ende der Behandlungsperiode in beiden Gruppen spektrophotometrisch bestimmt. Es konnte eine signifikante Erhöhung der Serum-SOD-Aktivitäten (mittlere Änderung: 2,94 ± 3,73 vs. -0,38 ± 1,33; p < 0,001) festgestellt werden sowie eine signifikante Erhöhung der GSH-Konzentrationen (mittlere Änderung: 1,39 ± 2.78 vs. -0,02 ± 1,62; p = 0,064) und eine signifikante Reduktion der MDA-Konzentrationen (mittlere Veränderung: -5,26 ± 4,46 vs. -2,49 ± 3,81; p = 0,044) in der Curcuminoidgruppe gegenüber der Placebogruppe. Die kurzfristige Supplementation mit Curcuminoiden dämpft den systemischen oxidativen Stress bei Patienten mit Osteoarthritis, so das Resümee der Arbeitsgruppe. Diese antioxidativen Effekte können die berichteten therapeutischen Effekte von Curcuminoiden bei der Linderung von Osteoarthritis-Symptomen erklären.
Neusten Untersuchungen zufolge sollen Curcumine auch bei Krebserkrankungen eine positive Wirkung erzielen. Datta et al. analysierten die tumorhemmenden Eigenschaften in einer in-vitro-Studie. Die Forscher optimierten Curcumin, um das Problem der mangelnden Wasserlöslichkeit und damit einer schlechten Bioverfügbarkeit der Curcumine zu umgehen. Bei verschiedenen Krebszelllinien, wie Brustkrebs und Melanome konnte Curcumin über die Hemmung von Phosphorylierungsprozessen dem Tumorwachstum entgegen wirken. Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Studie von Galindo et al. Die Forscher konnten mit Hilfe der Röntgenkristallographie zeigen, dass Curcumin das Enzym DYRK2 (Dual-Spezifität Tyrosin-geregelte Kinase 2) beeinflusst, das u.a. für die Zellproliferation und das Tumorwachstum zuständig ist.
Ob die entzündungshemmenden Eigenschaften von Curcumin das Gehirn vor Neurodegeneration schützen kann, untersuchte eine Arbeitsgruppe um Small et al. Ziel war es, den Effekt auf das Gedächtnis bei nicht-dementen Erwachsenen und die Auswirkung auf die Amyloid- und Tau-Akkumulation im Gehirn zu analysieren. Vierzig Probanden im Alter zwischen 51-84 Jahre erhielten randomisiert eine bioverfügbare Form von Curcumin (Theracurmin® mit 90 mg Curcumin) zweimal täglich (N = 21) oder Placebo (N = 19) für 18 Monate. Primäre Endpunkte waren die Erinnerungsfähigkeit mit diversen verbalen und visuellen Testverfahren. Tägliches orales Theracurmin konnte bei nicht-dementen Erwachsenen zu besserer Erinnerung und Aufmerksamkeit führen. Die Befunde legen nahe, dass die Ergebnisse mit einer Abnahme der Amyloid- und Tau-Akkumulation in den Gehirnregionen verknüpft sind, die Stimmung und Gedächtnis modulieren. Wegen der geringen Teilnehmerzahl hat die Studie aber sicherlich einen begrenzten Aussagewert. In einer chilenischen Studie von Morales et al. wurde untersucht, ob Curcumin in Kulturen von neuronalen Zellen neuroprotektive Eigenschaften hat. Die Zellen wurden oxidativem Stress (Eisensalze und Wasserstoffperoxid) ausgesetzt und die protektive Wirkung von Curcumin gegen Placebo getestet. Die Substanz war in der Lage, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen. Darüber hinaus konnte Curcumin die Tau-Aggregationskurve verlangsamen und geschädigte oligomere Strukturen abbauen. „Die Daten deuten darauf hin, dass Curcumin eine potenzielle Verbindung zur Vorbeugung von kognitiven Störungen im Zusammenhang mit Morbus Alzheimer sein könnte“, so die Autoren. Werden bei Krebs- oder Demenzerkrankungen auch nur Fortschritte in der Grundlagenforschung erzielt, überschlagen sich nicht selten die Meldungen und schüren Hoffnungen. Bei einer Erkrankung wie Alzheimer, bei der die Pathogenese so erschreckend lückenhaft ist, solche Resümees zu veröffentlichen – und das aufgrund von Studien an Zellkulturen – ist mehr als fragwürdig. In einer Übersicht von Brondino et al. wurde festgestellt, dass die Verwendung von Curcumin bei Demenzpatienten nicht ausreichend belegt ist und dass die geringe Bioverfügbarkeit und das schlechte Studiendesign die offensichtlichen Diskrepanzen zwischen In-vitro- und klinischen Studien erklären könnten.
Wenn einer Substanz so viele Wirkeigenschaften wie Curcumin zugeschrieben werden, ist es nicht verwunderlich, wenn es auch zu unerwünschten Effekten kommt. Die Arbeitsgruppe der University of Minnesota warnt in einer Arbeit vor der „dunkle Seite von Curcumin“. Mehr als 15.000 Manuskripte sind im Zusammenhang mit den biologischen Wechselwirkungen von Curcumin veröffentlicht, etwa 50 weitere Manuskripte pro Woche kommen hinzu. Da ist es fast unmöglich, alle Ergebnisse im Überblick zu behalten. Zu den genannten Nebenwirkungen bei einer Langzeiteinnahme von Curcumin zählen unter anderem Eisenmangel, Wechselwirkungen beim Abbau von Arzneistoffen, Magenschleimhautentzündungen und Lungenkarzinome. Doch auch hier stammen viele der Ergebnisse aus In-vitro- oder Tierversuchen. In einer sehr umfangreichen Arbeit von Prof. Dr. Sigrun Chrubasik-Hausmann von der Universität Freiburg kommt die Autorin zu dem Schluss: Nach Einmalgabe auch hoher Kurkuma-Dosen wurde kein Hinweis auf akute Toxizität gefunden, weder für Kurkumaextrakt noch für den Wirkstoff Curcurmin.
Auch wenn es inzwischen Hinweise gibt, dass Kurkuma in manchen medizinischen Bereichen nützlich sein kann, darf man es nicht als Allheilmittel betrachten. „Curcumin ist am besten als eine Rakete typisiert, die ständig auf der Startrampe explodiert und niemals die Atmosphäre oder die beabsichtigten Ziele erreicht“, heißt es in einer Arbeit von Heger et al. Gemeint ist damit, dass Curcumin extrem viele pharmakodynamische Ziele ansteuert, diese aufgrund der schwachen Pharmakokinetik aber nicht erreicht.