Das Bundeskartellamt prüft, ob durch die Pharmaindustrie gesponserte Online-Fortbildungen rechtens sind. Auch wenn es dabei vordergründig nur ums Internet geht: Was tatsächlich in Frage steht, ist das gesamte System der medizinischen Fortbildung in Deutschland. Für die Fortzubildenden selbst könnte sich die ganze Sache im Geldbeutel bemerkbar machen.
Seit der Gesetzgeber von Ärzten verlangt, Fortbildungsleistungen mit Hilfe der CME-Punkte zu dokumentieren, hat der deutsche Markt für ärztliche Fortbildungen einen enormen Aufschwung erlebt. Professionelle Anbieter von Fortbildungsreihen wie das US-Unternehmen Pri-Med haben Deutschland entdeckt und bieten regelmäßig Präsenzveranstaltungen in unterschiedlichsten Städten. Medizinische Fachverlage sind auf den Zug aufgesprungen und offerieren nicht nur CME-zertifizierte Fortbildungen in ihren jeweiligen Fachzeitschriften, sondern engagieren sich auch als Medienpartner im Bereich der kostenpflichtigen Präsenzfortbildungen, etwa der Springer-Verlag bei der sehr beliebten Praxis-Update-Reihe des Anbieters med update, der unterschiedlichste Fachgebiete abdeckt.
Kartellamt will Verflechtungen auf den Grund gehen
Auch das Internet hat als Fortbildungsmedium dramatisch an Relevanz gewonnen - kein Wunder, muss für einen CME-Punkt online doch sehr viel weniger Zeit aufgewandt werden, weil lange Anreisewege wegfallen. Verlage wie Thieme sind hier sehr aktiv, aber auch pharmazeutische Unternehmen engagieren sich in großem Umfang. Sie haben zum Teil in Eigenregie, zum Teil in Kooperation mit Verlagen, eigene Fortbildungsportale aufgebaut und dafür viel Geld investiert. Das Ergebnis sind oft schön anzusehende, technisch zum Teil äußerst aufwändige Fortbildungseinheiten, die in aller Regel kostenlos sind. Genau diese kostenlosen industriegesponserten Fortbildungseinheiten im Internet will sich das Bundeskartellamt jetzt genauer ansehen. Den Anstoß gab eine Beschwerde des ehemaligen Pharmareferenten Roland Holtz, der mit cme-fobi selbst versucht, ein Fortbildungsportal im Internet zu platzieren. Der Arbeitsthese des Bundeskartellamts geht in die Richtung, dass die kostenlosen Online-Fortbildungen der Ärztekammern den Wettbewerb behindern könnten. Eine Sprecherin der Behörde hat das Problem auf Nachfrage etwas deutlicher gemacht: Geprüft wird demnach nicht so sehr der Inhalt der Fortbildungen, sondern die Frage, ob unabhängigen Anbietern durch die gesponserten Angebote der Zugang zum Markt erschwert werde. Auf dem Kieker haben die Kartellwächter dabei die Landesärztekammern. Denn die sind zuständig für die Zertifizierung, die sie auf Basis von Ausführungsbestimmungen vornehmen, die der Deutsche Senat für Ärztliche Fortbildung der Bundesärztekammer erstellt hat. Die Ärztekammern aber sind nicht nur verpflichtende Zertifizierungsinstanz, sondern zugleich über ihre Fortbildungsakademien wichtiger Anbieter zertifizierter Fortbildungen.
Bundesärztekammer: Pharmafreie Fortbildung derzeit nicht umsetzbar
Wer über diese Zusammenhänge ein wenig nachdenkt, wird zugeben müssen, dass sich hier einige Fragen stellen. Der Punkt ist allerdings, dass sich diese Fragen in genau der gleichen Weise für Präsenzfortbildungen stellen: Auch hier gibt es ein breites Potpourri an Veranstaltungen, die unterschiedlich intensiv und unterschiedlich offensichtlich direkte oder indirekte Finanzierung durch die Industrie erhalten. Sie sind deswegen tendenziell billiger als nicht-gesponserte Veranstaltungen und sollten ergo einen Wettbewerbsvorteil haben. Neben den oft in den Medien thematisierten "Fortbildungsreisen" werden auch beispielsweise einige gesundheitspolitische Kongresse von Industrieunternehmen kofinanziert, deren Produkte dann mehr oder weniger offensichtlich im Fortbildungsprogramm des Kongresses auftauchen. All diese Verflechtungen sind kein großes Geheimnis. Das entscheidende Argument für die Ist-Situation lautet dabei, dass nur das Industrieengagement ein derart breites Fortbildungsangebot ermögliche, und dass durch die Zertifizierung der Landesärztekammern die Produktneutralität gewährleistet werde.
Angst vor neuen Diskussionen über den Arzt als Melkkuh der Nation
Trotzdem: Zumindest bei der Bundesärztekammer ist man nicht so richtig glücklich mit der momentanen Situation: "Eine ausschließlich pharmafreie Fortbildung wäre eindeutig wünschenswert. Im Moment ist das aber Illusion", betonte der für Fortbildung zuständige Vorstand der Bundesärztekammer, Dr. Franz Bartmann, im Gespräch mit dem DocCheck Newsletter. Der Grund ist klar: In Zeiten, in denen es um die Finanzsituation vieler Ärzte nicht bestens bestellt ist, wäre die Durchsetzung von ausschließlich unabhängigen, damit kostenpflichtigen (Pflicht-)Fortbildungen für die Vertreter der Ärzteschaft politisch zumindest riskant. "Klar ist in jedem Fall, dass die Ärztekammern sehr sorgfältig prüfen müssen, was sie bei der Zertifizierung akzeptieren", so Bartmann. Ob das Resultat des Kartellverfahrens am Ende eine zentrale Zertifizierungsstelle mit transparenten Zuständigkeiten ist, wie das von Kritikern des Status quo schon länger gefordert wird, ist derzeit noch nicht absehbar.