"Siehst Du einen Riesen, so prüfe den Stand der Sonne und gib Acht, ob es nicht der Schatten eines Zwerges ist". - mit einem Novalis-Zitat reagierte der Hartmannbund auf die Ergebnisse zum neuen EBM. Auch andere Verbänden sprechen von einer "Mogelpackung". Ob der mühsam erzielte Kompromiss mehr Geld in die Taschen der Mediziner bringt, wird sich erst 2009 zeigen. Vorerst gibt es nur eines - mehr Punkte.
So war es gedacht: Leistung nach Euro und Cent
Ob das Honorardefizit - wie viele Ärztevertreter behaupten - tatsächlich bei 30 Prozent liegt, ist ungewiss. Auch lässt sich darüber streiten, ob 20 Milliarden Euro zusätzlich notwendig sind, um Ärzte zufriedener zu stellen. Gewiss ist aber seit langem, dass die meisten Mediziner und Psychotherapeuten die komplizierte Rechnerei mit floatenden (schwankenden) Punktwerten leid sind. Seit Jahren verlangen sie mehr Kalkulationssicherheit. Und sie verlangen seit Jahren ein Vergütungsverfahren, bei dem sie nach Euro und Cent abrechnen können.
Monatelange Proteste und andauernde Unzufriedenheit hatten schließlich dazu geführt, dass auch das Gesundheitsministerium die Notwendigkeit einer Honorarreform einsah. Es forderte die Spezialisten für Gebührenordnung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der gesetzlichen Krankenkassen dazu auf, sich auf einen neuen EBM zu einigen - keine einfache Aufgabe, wie sich herausstellte. Da die Vorstellungen beider Seiten zu weit auseinander lagen, insbesondere, was die Höhe der Honorarmehrforderungen betraf - musste ein Schiedsamt aus Vertretern beider Seiten die Zügel in die Hand nehmen. Bis zum 31. Oktober, lautete die Vorgabe, hatte dieser "Erweiterte Bewertungsausschuss" unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden einen Kompromiss zu erarbeiten. Das hat er geschafft.
Das kam dabei heraus
Am 19. Oktober war es soweit: Andreas Köhler, KBV-Chef, präsentierte einen seiner Ansicht nach "wichtigen Meilenstein einer Honorarreform". Im Mittelpunkt dieses Meilensteins stand die Nachricht, dass der neue EBM pünktlich zum 1. Januar 2008 kommen wird, es wird also ab nächstem Jahr überwiegend mit Pauschalen gerechnet. "Dass wir diesen Zeitplan einhalten konnten, halten wir für den wichtigsten Punkt", frohlockte Köhler. Was alles andere angeht, zeigte sich der erste Vorsitzende der Kassenärztevertretung weniger euphorisch. Denn mehr Geld für Ärzte und Psychotherapeuten gibt es, wenn überhaupt, erst ab 2009. Ab dem nächsten Jahr erhöht sich zwar der so genannte kalkulatorische Arztlohn von rund 95.000 Euro pro Jahr auf etwa 105.000 Euro jährlich auf der Basis einer Arbeitsleistung von 51 Wochenstunden. Das entspricht einem Anstieg der bisherigen Punktemenge von zehn Prozent, die Leistung des einzelnen Arztes wird also um durchschnittlich zehn Prozent höher bewertet.
Doch zu früh gefreut: Da der Gesetzgeber das Honorarvolumen für 2008 budgetiert hat, gibt es nicht mehr Geld, sondern lediglich eine sinkenden Punktwert. Einziger Hoffnungsschimmer: Leistungen, die nicht aus dem Budget finanziert werden (extrabudgetäre Leistungen), beispielsweise Impfleistungen, bringen mehr Geld. Und führen nach Angaben der Krankenkassen zu leichten Ausgabensteigerungen. Die KBV hatte ihre Forderungen nach mehr Geld unter anderem damit begründet, dass sich die Mehrwertsteuer erhöht habe und die Arbeit der Ärzte durch die gestiegenen Bürokratieanforderungen mehr wert sei. Außerdem habe es auch bei den Krankenhausärzten Tarifanpassungen gegeben. Zum Teil zeigten sich die Kassen einsichtig, manche Begründungen - so die der gestiegenen Belastung durch Bürokratie - konnten sie nicht nachvollziehen.
Im Vergleich zu vielen Facharztgruppen gehen die Hausärzte als Sieger aus den Verhandlungen hervor. Ihre abzurechnende Punktzahl bei einem Durchschnittpatienten steigt nach KBV-Angaben ab dem 1. Januar 2008 um 21 Prozent (von 1.289 Punkten auf 1.562 Punkte). Einzelheiten sind abhängig davon, wie alt ein Patient ist (Versichertenpauschale) und ob er aufgrund der Erkrankung des Patienten einen Morbiditäts-/Chronikerzuschlag erhält. Mit diesem Ergebnis wird zwar nicht den Ursprungsforderungen der Hausärzte entsprochen. Sie hatten im Vorfeld mindestens 75 Euro pro Patient und Quartal gefordert. Immerhin konnte sich die KBV aber mit ihren Forderungen nach dem Morbiditätszuschlag und nach Qualitätszuschlägen für bestimmte Leistungen durchsetzen. Für die Fachärzte gilt: Es kommt innerhalb der Facharztgruppen zu einem Umverteilungsprozess, bei dem die einen zu den Gewinnern, die anderen zu den Verlierern zählen. Diese Umverteilung bezeichnete Köhler jedoch als "angemessen", schließlich hätten die Gewinner - beispielsweise Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und Psychotherapie und Psychotherapeuten - seit Jahren zu wenig Punkte erhalten.
Das sind die Reaktionen
Bislang halten sich die zahlreichen Ärzteverbände im Gesundheitswesen mit Reaktionen zurück. Lediglich der Hartmannbund zeigte sich angesichts der Ergebnisse skeptisch. "Kein Mensch weiß doch heute, was die Zahl der Punkte ab 2009 wirklich Wert sind", betonte deren Vorsitzender Kuno Winn. Die Unterschiede in der Vergütung von Haus- und Fachärzten bezeichnete Winn als problematisch. Damit seien innerärztliche Konflikte programmiert, vor allem deshalb, "weil die ursprünglich von der KBV geplante Trennung des Orientierungswertes für Haus- und Fachärzte vom Gesetzgeber abgelehnt worden" sei. Eine weitere Reaktion zum neuen EBM kam von MEDI Brandenburg: Die angekündigte Steigerung der Ärzteverdienste durch den neuen EBM sei eine "Mogelpackung", meint Heiner Loos, der Vorsitzende des Ärztezusammenschlusses. Bisherige Verluste der Ärzte gleiche der neue Bewertungsmaßstab nicht aus.