Telemedizin einmal anders: In den Niederlanden bietet eine Frauenorganisation Abtreibungstabletten via Internet für Frauen in aller Welt an, die auf herkömmlichem Weg keine Möglichkeit zum Eingriff haben. Jetzt hat die Organisation den Service evaluiert und die Ergebnisse wissenschaftlich publiziert. Die ersten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.
Ungewollt schwanger in einem Land, in dem Abtreibungen illegal sind? Das muss kein Problem sein, wenn ein Zugang zum Internet existiert. Die in den Niederlanden ansässige Organisation Women on Waves hat für eine solche Situation einen Service parat. Das Angebot nennt sich Women on Web und besteht in einer Online-Konsultation, die von Frauen aus aller Welt in den ersten neun Schwangerschaftswochen in Anspruch genommen werden kann.
Komplikationen auf vertretbarem Niveau
Die niederländischen Experten beraten die Frau am anderen Ende der Datenleitung sehr ausführlich. Sie bitten sie nach dem Gespräch, einen Arzt aufzusuchen, der klären möge, ob es Kontraindikationen für eine medikamentöse Abtreibung gibt. Wenn sich die Frau wieder meldet, erhält sie die Abtreibungstabletten Mifepriston beziehungsweise Misoprolol auf dem Postwege zugeschickt. Unterstützt von ausführlichem Informationsmaterial kann sie die Abtreibung dann in Eigenregie vornehmen. Abenteuerlich? Lebensgefährlich? In einem Beitrag in der gynäkologischen Fachzeitschrift British Journal of Obstetrics and Gynecology (BJOG) haben die Macher von Women on Web jetzt eine kurze wissenschaftliche Evaluation des Angebots publiziert, in der sie auch berichten, wie genau die Online-Konsultationen und die telemedizinisch angeleitete Abtreibung abläuft. Der Beitrag dreht sich vor allem um die Sicherheit des Services: Das Schicksal der betreffenden Frauen wurde so gut es eben ging nachverfolgt. Die Autoren geben an, dass sich 12,6 Prozent der Frauen durch die Online-Konsultation von den Plänen, die Schwangerschaft zu beenden, abbringen lassen. Bei 6,8 Prozent der Frauen, die sich für eine "Abtreibung per Internet" entscheiden, werde eine Vakuumabsaugung erforderlich. Diese Quote wird von den Autoren des Artikels als vertretbar eingestuft. Unter den gegebenen Umständen sei "Women on Web" daher als sicher anzusehen.
Gewundene Kommentare aus den Fachverbänden
Die Herausgeber des BJOG sind angesichts der Brisanz des Themas offensichtlich etwas nervös geworden. Jedenfalls haben sie sich dazu entschlossen, im Vorfeld zur Publikation des Beitrags eine Stellungnahme des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) einzuholen, des britischen Berufsverbands der Gynäkologen. Diese Stellungnahme wurde parallel zur Publikation online gestellt. In der Zeitschrift selbst setzt sich zudem der Vorsitzende des Ethikkomitees des RCOG in einem Kommentar mit der Veröffentlichung auseinander. Grundsätzlich schließt sich der Fachverband der Einschätzung der niederländischen Kollegen in Bezug auf die Sicherheit der Online-Abtreibung an: "Die Studie zeigt, dass Frauen in der Lage sind, eine medikamentöse Abtreibung selbst durchzuführen, wenn sie eine gute und klare Anleitung bekommen und wenn sie über jene Komplikationen Bescheid wissen, bei denen zusätzliche medizinische Hilfestellung nötig ist", so die Experten. Man erkenne an, dass die niederländische Organisation ein Angebot für Frauen in Ländern anbiete, in denen die Abtreibung illegal sei. Ebenfalls konstatiert wird, dass die Betreffenden mit umfangreichen Informationen versorgt werden, und dass das Angebot nur für Frauen gelte, die in den ersten neun Schwangerschaftswochen sind.
Women on Web setzt auf Vertrauen
Darüber hinaus wird allerdings jede positive Stellungnahme vermieden, denn genau bei diesem letzten Punkt wird die Sache heikel. "Der Unterschied zwischen einer Online-Abtreibung und einer herkömmlichen medikamentösen Abtreibung ist, dass es keine körperliche Untersuchung der Frau gibt, um die Schwangerschaftsdauer zu bestätigen", so das RCOG. Soll heißen: Ob die anfragende Frau wirklich in den ersten neun Wochen schwanger ist oder ob die Schwangerschaft schon sehr viel weiter fortgeschritten ist, weiß niemand außer der Frau selbst. Auch der Arztbesuch zur Abklärung von Kontraindikationen für die medikamentöse Abtreibung wird nicht kontrolliert. "Wir setzen auf Vertrauen", so eine Sprecherin der Initiative.