Bei der Bekämpfung von Symptomen chronischer Krankheiten wie Multipler Sklerose ist die positive Wirkung von Cannabinoiden länger bekannt. Jetzt könnte die ebenfalls im Hanf enthaltene Substanz Beta-Caryophyllen die Medizin erobern. Der Stoff zeigt im Versuch eine entzündungshemmende Wirkung, ist aber nicht psychoaktiv.
Tatsächlich konnten Wissenschaftler der ETH Zürich mit Kollegen der deutschen Universität Bonn "eine bisher wenig beachtete Komponente im ätherischen Öl dieser Pflanze" ausmachen, die über eine beachtliche Eigenschaft verfügt: Sie lässt sich womöglich für die Prävention und Behandlung von Entzündungen einsetzen.
Denn die Substanz Beta-Caryophyllen, die bis zu 35 Prozent des ätherischen Öls von Cannabis sativa L ausmacht, aktiviert selektiv den sogenannten CB2-Rezeptor des menschlichen Organismus. Das "Anknipsen" des molekularen Schalters setzt eine fulminante biochemische Reaktion in Gang. "Während der CB1-Rezeptor im Zentralnervensystem die Wahrnehmung beeinflusst, spielt der CB2-Rezeptor im Gewebe eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung von Entzündungen", erklären die ETH-Forscher das Grundprinzip. Mit anderen Worten: Beta-Caryophyllen vermag die Produktion der entzündungsfördernden Zytokine zu unterdrücken, ohne im Gehirn den klassischen Cannabis-Rausch auszulösen.
Ohne Rezeptor keine Linderung
Zwar ist schon lange bekannt, dass von den rund 450 in Hanf enthaltenen Substanzen lediglich drei jene Rauschwirkung auslösen, die Haschisch und Marihuana ausmachen. Auch wissen Mediziner die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis zu schätzen, selbst einige auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung eher als absolute Hardliner bekannte US-Bundesstaaten erlauben mittlerweile den medizinischen Einsatz bei Krebspatienten. Dass Cannabis darüber hinaus als Entzündungshemmer in Frage käme, blieb indes unbekannt - weil Beta-Caryophyllen eine ganz andere Molekülstruktur besitzt, wie Jürg Gertsch vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich erklärt: "Vermutlich erkannte man aus diesem Grund bisher nicht, dass diese Substanz den CB2-Rezeptor ebenfalls aktivieren kann."
Was Gertsch und sein Team im Tierversuch nachwiesen, lässt aufhorchen. Bei Mäusen mit entzündlichen Schwellen an den Pfoten gingen die Entzündungen nach Verabreichung der Cannabis-Substanz zurück - in immerhin 70 Prozent der Fälle. Jene Tiere aber, denen das Gen für den CB2-Rezeptor fehlte, sprachen auf den Wirkstoff nicht an. Damit scheint klar, dass die Substanz gleich eine ganze Reihe von chronischen Erkrankungen ins Visier nehmen könnte. Ob Leberzirrhose, Morbus Crohn, Osteoarthritis oder Arteriosklerose, bei allen "spielen der CB2-Rezeptor und das damit verbundene Endocannabinoid-System eine wichtige Funktion", wie die Züricher erklären.
Schlechtes Image - schlechter Stand
Doch die Cannabis-Pille als ASS-Ersatz scheint noch weit entfernt, zumal das Präparat mit dem Image der Pflanze zu kämpfen hätte. Dass die entzündungshemmende Substanz über kein Suchtpotenzial verfügt begeistert Mediziner - viele andere jedoch sind weitaus weniger begeistert. Droht dem potentiellen Cannabis-Wirkstoff Beta-Caryophyllen damit das vorzeitige Aus? Wohl kaum, und Forscher Gentsch gibt Skeptikern einen kleinen Hinweis mit auf dem Weg: Der Wirkstoff kommt auch in weitaus akzeptierteren Pflanzen vor - als Inhaltsstoff der Gewürze Basilikum oder Oregano.