Sie sind wenig bekannt, doch sie breiten sich nahezu unbeachtet aus: So genannte Cardioviren, die bisher vorwiegend in Nagern nachgewiesen wurden, treten auch beim Menschen auf – wohl häufiger, als man bis jetzt annahm. Das Tückische: die Erreger kommen im Gastrointestinaltrakt vor und sind nur schwer nachweisbar.
Schon die Orte der Probeentnahmen könnten unterschiedlicher kaum sein. Einerseits: Schäumende Atlantikwellen, brasilianische Schönheiten und strahlender Sonnenschein in Salvador da Bahia. Auf der anderen Seite der Erde indes, wie so oft, graues, norddeutsches Schmuddelwetter in Hamburg – dafür aber bessere hygienische Bedingungen der Patienten. Allen Unterschieden zum Trotz untersuchten Mediziner um Jan Felix Drexler an der Federal University Salvador Bahia und sein Team in Hamburg und Bonn insgesamt 844 Stuhlproben von Gastroenteritis–Patienten. Sehr zum Erstaunen der Forscher zeigten Brasilianer und Deutsche nach den PCR-Analysen eine unerwartete Übereinstimmung: Viele Kinder waren mit den Cardioviren infiziert.
Den Menschen entdeckt
Die Erreger gelten seit der Entdeckung ihrer humanen Variante vor rund 25 Jahren, dem Saffold-like Virus, als üble Zeitgenossen des Menschen. Tatsächlich vermögen Cardioviren in Nagern gleich eine ganze Reihe von Erkrankungen auszulösen. Zur Liste des Grauens gehören Gebrechen wie Multiple Sklerose, Myocarditis oder Diabetes und Encephalomyelitis. Doch bislang schienen die Erreger den Menschen als Objekt der Begierde auszulassen. Genau das hat sich womöglich gründlich geändert. Immerhin 7,8 Prozent der deutschen Kindergartenkinder und 1,1 Prozent der untersuchten brasilianischen Kleinen hatten die Viren im Stuhl. Allein das hätte freilich niemanden sonderlich aufgeregt, nur: Bei den Erregerstämmen handelte es sich um sehr nahe Verwandte – ein wichtiges Indiz, dass „eine globale Verteilung beim Menschen“ stattfindet, wie die Wissenschaftler in der Septemberausgabe des vom CDC herausgegebenen Emerging Infectious Diseases berichten.
Beunruhigende Neuigkeiten
Tatsächlich kommt die Publikation, für die Drexler auch am Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin in Hamburg und an der Uni Bonn arbeitete, zu einem mehr als brisanten Zeitpunkt. Denn nahezu zeitgleich veröffentlichte auch das Fachblatt PNAS eine Arbeit kanadischer und US-amerikanischer Biochemiker um Patrick O. Brown von der School of Medicine der Stanford University – mit ebenfalls alarmierenden Aussagen (PNAS vom 16. September 2008, vol. 105, no. 37). Das Team um Brown konnte nämlich erstmals aufzeigen, dass bei gleich 8 Cardioviren-Arten im sogenannten VP1-Gen der Erregers „signifikante Mutationen“ stattgefunden haben. Dass die große Familie der Picornaviridae neun Genera, mehr als 142 Spezies und 200 Serotypen umfasst, von denen die Cardioviren 2 tierpathogene Formen aufweisen, war bisher die gängige Lehrmeinung. Doch die Ergebnisse in Stanford lassen die Frage aufkommen, ob die winzigen Erreger entgegen aller Erwartungen nicht in einer wesentlich größeren Vielfalt existieren. Es sei davon auszugehen, dass „diverse neue Gruppen von Cardioviren, die im Gastrointestinaltrakt vorkommen, bisher unentdeckt blieben“, interpretiert Brown die beobachteten PCR-Ergebnisse.
Viren in puncto Mutationen überwachen
Über die Folgen für den Menschen kann man indes nur spekulieren. Sollten sich die neuen Cardioviren auf Grund der jetzt nachweisbaren Mutationen tatsächlich zum globalen Durchbruch aufgemacht haben, wären Humanmediziner gut beraten, die Erreger nicht aus dem Auge zu verlieren. Veterinärmediziner wissen über das pathogene Potenzial der Viren nur zu gut Bescheid: Mit Cardioviren infizierte Zooelefanten fallen mitunter einfach tot um. Damit nicht genug – in freier Wildbahn treten die Erreger bei den Dickhäutern epidemisch auf.