Wie macht man als Hospital auf neue Behandlungsmethoden aufmerksam? Ganz einfach: Man provoziert mit einer bewusst falschen Aussage. Ergebnis: Widerspruch und ein gehöriges Medienecho - so geschehen beim "ersten Vitrifikations-Baby" in Wales. DocCheck fragt nach, ob Vitrifikation mehr in die Forschungslabors als in die Medien gehört.
"A couple have become the first in Wales to have a baby using a pioneering IVF technique which fast-freezes embryos." So lautete kürzlich die Einleitung zu einem Artikel in BBC News mit der Überschrift "Couple`s 'fast-freeze' IVF baby. Den Begriff 'fast-freeze' kennt Hausfrau/Hausmann, wenn überhaupt, vom Gefrierschrank. Es handelt sich dabei um die Option des besonders schnellen Einfrierens. Dem Mediziner dürfte "fast-freeze" in Verbindung mit In-Vitro Fertilisation (IVF) gar nichts sagen. Um so mehr konnte man gespannt sein, was den Waliser Ärzten mit Baby Evie so Sensationelles, oder wie es im Artikel heißt, so Bahnbrechendes gelungen war. Nach Hintergrundinformationen zu den jungen Eltern erfährt man, dass die Mediziner vom Cardiff Hospital die Vitrifikations-Technik nutzten und dass diese Technik erstmals von ihnen in England umgesetzt wurde. Die Behauptung löste heftige Proteste seitens der englischen Care Fertility Group aus. Zitat des Direktors, Dr. Simon Fishel: "I introduced this technology in 1991 and the first baby, Laura, was born in October 1992 and was reported in the media at that time - called the 'sugar drop' baby."
Marketing-Gag aus Cardiff
Tatsache ist, dass das in Wales am Cardiff Hospital praktizierte Verfahren der Vitrifikation seit mehreren Jahren nicht nur in England Anwendung findet. Also doch nichts Bahnbrechendes aus Cardiff? Was dann? "Die Meldung aus dem Cardiff Hospital ist ein gelungener Marketing-Gag," bewertet Dr. Georg Griesinger, Privatdozent am Zentrum für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Schleswig-Holstein in Lübeck, die BBC-News. "Die Vitrifikation wird seit geraumer Zeit erforscht und in zunehmendem Maße in die Routine eingeführt."
Blitzartige Tiefgefrierung verhindert Kristallisation
Dr. Griesinger leitet eine Arbeitsgruppe, die die Gefrierlagerung von Eierstockgewebe und Eizellen sowie der Reifung von Eizellen aus Eierstockgewebe im Reagenzglas an der Lübecker Uniklinik erforscht. In dem Projekt, das u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, spielt die so genannte Vitrifikation, ein Verfahren der Kryokonservierung, eine bedeutende Rolle. Bei dieser Technik wird das Wasser aus den Zell- und Gewebearten entfernt, eine nicht gefrierende Lösung hinzugefügt und das ganze in flüssigem Stickstoff extrem schnell auf -196° Celsius runtergekühlt. Diese blitzartige Tiefgefrierung hat gegenüber dem 'Slow cooling' den Vorteil, dass beim Einfrieren sehr viel weniger Kristalle entstehen. Eine geringe Kristallisation verhindert weitestgehend, dass beim Auftauen mechanische Schädigungen an den Zellorganellen auftreten.
Vitrifizierungs-Praxis mit 2 PN-Eizellen
An der Lübecker Uni-Klinik wird die Vitrifikation von 2 PN-Eizellen seit 2004 angewendet. Seitdem gab es über 100 Geburten mit Hilfe dieses Verfahrens. PN steht für Pronukleus-Stadium und bezeichnet die verschiedenen Vorkernstadien bis zur Blastozyste. Im 2 PN-Stadium befindet sich die Eizelle im Zwei- oder Vierzellstadium und ist damit rein rechtlich eine im Befruchtungsvorgang befindliche Zelle. Das heißt, eine Kryokonservierung ist laut Deutschem Embryonenschutzgesetz zulässig. Die Lebendrate nach Vitrifizierung liegt bei 20 Prozent, so Dr. Griesinger, was in etwa vergleichbar ist mit den Ergebnissen bei routinemäßigen IVF-Behandlungen. Vitrifikation von Eierstockgewebe und Eizellen In England können im Gegensatz zu Deutschland auch Embryonen tiefgefroren gelagert werden. Das Gesetz lässt außerdem zu, dass nur die Embryonen gefriergelagert werden, die von ihrem Entwicklungspotenzial vielversprechend sind.
Neue Perspektiven für Frauen mit Kinderwunsch
Welche Vorteile hat das? "Damit ist der Aufwand geringer, als wenn ich jede verfügbare 2 PN-Eizelle einfrieren muss", erklärt Dr. Griesinger. Gibt es weitere Unterschiede? "Ich habe nicht den Eindruck, dass in Cardiff die Vitrifikation systematisch entwickelt und erforscht wird. Ihnen geht es in erster Linie um Routine. Wir erforschen die Anwendung der Vitrifikation bei unbefruchteten Eizellen, befruchteten Eizellen, Eizellen nach in-vitro Maturation - d.h. unreife Eizellen, welche im Reagenzglas nachgereift werden - und Eierstockgewebe. Dazu machen wir sowohl klinische Studien als auch Grundlagenforschung, wie in dem oben beschriebenen Projekt. Schliesslich gibt es noch viele offene Fragen, wie beispielsweise Anwendbarkeit der Methode, Optimierbarkeit, Sicherheit, Kindsgesundheit etc." Die Lübecker Forscher - in Kooperation mit Kollegen in Bielefeld, München und Mainz - hoffen, dass sich für Frauen mit Kinderwunsch dadurch ganz neue Perspektiven ergeben. Die Vitrifizierung von Eierstockgewebe könnte Frauen die Retransplantation nach einer Chemotherapie ermöglichen. Frauen, die vor einer Chemotherapie ohne Partner sind, bietet das Einfrieren von unbefruchteten Eizellen eine sinnvolle "Fertilitätsreserve", so Dr. Griesinger.