Die größte Finanzkrise der US-Geschichte hätte sich womöglich vermeiden lassen - mit Ärzten und Pillen. Was zunächst abstrus klingt, hat durchaus Berechtigung: Mediziner gehen den Phänomenen Gier und Spielsucht seit Jahren nach - und versuchen zu verstehen, warum professionelle Finanzjongleure Milliarden in den Sand setzen.
Der Blick in die Gehirne der zwölf Glücksspieler erfolgte mittels fMRI. Was der Kernspintomograph anschließend visualisierte, überraschte die forschenden Ärzte am Massachusetts General Hospital (MGH) derart, dass nur wenig später das Fachblatt Neuron darüber berichtete: Die monetäre Gewinnerwartung des Menschen findet vor allem in einem Bereich des Gehirns statt – dort, wo auch Kokainsucht und Morphiumabhängigkeit entstehen. Tatsächlich markiert die bereits am 24. Mai 2001 publizierte Arbeit um Hans C. Breiter einen Meilenstein der Medizin. Denn sie gehört zu einer Epoche, in der sich Ärzte, nicht Ökonomen, aufmachten, um das Denken der globalen Finanzjongleure zu verstehen. Ob Kauf oder Verkauf von Aktien, Derivaten oder Konzernen - was sich auf den Finanzseiten der Börsenzeitungen in Form von Kursen wieder findet hat simple biomedizinische Ursachen. Und ließe sich entsprechend therapieren, wie man heute angesichts der weltweiten Bankenkrise hinzufügen muss.
Geld als Euphoriedroge
Offensichtlich führen Gewinnerwartungen ebenso wie Verlustängste zu massiven Veränderungen des cerebralen Blutflusses. Solche Abnormitäten beobachteten Mediziner bis dahin lediglich in Tierversuchen – und bei Tieren, denen man zuvor euphorisierende Drogen injiziert hatte. Vor allem der Orbitofrontale Cortex gerät, ebenso wie Teile der Amygdala, in den Sog der unheilvollen Blutströmung. Zudem scheinen drei Bereiche auf die gierige Erwartungshaltung der Akteure anzusprechen: der Hypothalamus, und die Gehirnareale NAc und SLEA. Keine geringere Behörde als die US amerikanische NIH/National Institute on Drug Abuse gehörte zu den Mitfinanzierern des Projekts – beunruhigten die professionellen Börsenaktivitäten ihrer Broker schon damals die US Mediziner? Vieles spricht dafür, dass es so sein kann. „Deal or no deal?“ fragten beispielsweise Wissenschaftler am University Pittsburgh Medical Center (UPMC) im Dezember 2006 angesichts der einsetzenden Erosion des amerikanischen Immobilienmarktes und des damit verbundenen Störfeuers an den Börsen. Ob Weiterzocken oder Aufhören angesagt ist liegt offensichtlich im Ermessen des ventralen Striatum. Neurologen und Medizinstudenten kennen diese Hirnregion freilich in einem anderen Kontext: Zu den Erkrankungen, die von fehlgesteuerten Prozessen im Striatum ausgehen, gehören das Striatum-Syndrom (neostriär) mit Hyperkinese und Tremor. Für Ahmad R. Hariri, der die Arbeiten am UPMC leitete, belegen die fMRI-Bilder vor allem einen Trend: Neben den klassischen Suchtmechanismen spielt die genetische Veranlagung jedes Einzelnen eine wesentliche Rolle.
Ob solcher Erkenntnisse erscheinen auch die Prognosen der etablierten Volkswirte mit einem Mal in einem anderen Licht. Das, was der heute an der Universität Würzburg lehrende Forscher und Wirtschaftsweise Peter Bofinger in seiner Präsentation „Finanzmärkte und Psychologie“ zu verkünden hat, liest sich wenig charmant. Der DAX? Eine gefährdete und überhitzte Blase, die auf Jahre hinweg in untere Bereiche abgleiten würde. Die Anleger? Zu überfrachtet mit Informationen, die sie emotional kaum vernünftig verarbeiten könnten. Und schließlich „das Phänomen der langen Abwertungsphasen“, dem der Wissenschaftler eine besondere Bedeutung zukommen ließ. Tatsächlich prophezeite Bofinger schon vor Jahren genau das, was die Finanzwelt heute erschüttert. Die Macht, die Gier und die Fehlentscheidungen der gescheiterten Bankenmanager in Nordamerika oder hierzulande, sie lassen sich nicht nur aus medizinischer, sondern auch als ökonomischer Sicht nämlich mit einfachen psychologischen und kognitiven Verhaltensstrukturen.
Ganz am Anfang eines unheilvollen Prozesses steht dieser Theorie zufolge die sogenannte „Overconfidence“. Diese Selbstüberschätzung lässt Anleger und Manager in dem Irrglauben leben, dass Kursgewinne Ausdruck ihrer eigenen Fähigkeiten seien. Dass Finanzmärkte hingegen über eine Eigendynamik verfügen ist zwar den meisten Akteuren klar, nur: Wirklich kümmern tut das aus psychologischer Sicht niemanden. Nahtlos reiht sich Fehler Nummer zwei im Denkmuster der später gebeutelten an, wie Bofinger demonstriert: „Mit Gewinnen kann man risikoreicher umgehen“, beschreibt der Professor diesen Trugschluss, „House-Money“ lautet das im Fachjargon. Statt Gewinne als Rücklage zu sichern verzocken die Erfolgreichen mehr und mehr – Derivatkonstrukte, die nicht einmal Banker mehr in allen Facetten verstehen, sind ein Beispiel für die Auswüchse dieser Art Finanzpsychologie. Spätestens jetzt kommt dann ein dritter Auslöser hinzu: der Herdentrieb. Weil andere Manager oder Anleger große Gewinne erwirtschaften, müsse man selbst genauso agieren, meinen die Irrlichternden. Was für Aktienkurse gilt, lässt sich leicht auf die Renditejagd der Banken übertragen – Profit um jeden Preis, die subprime crisis als logische Konsequenz einer kranken Psyche? Allein das wäre zwar schlimm, aber nicht wirklich bedrohlich, käme nicht der letzte, brutalste und vor allem dümmste Auslöser ins Spiel: Das Framing. „Schlechte News bleiben unberücksichtigt“ lehrte Bofinger bereits vor Jahren. Manager mit Millionengehältern hätten diese Nachricht kennen müssen, haben Bofingers Thesen aber womöglich ignoriert – Framing in action.
Panik an der Börse? Pille schlucken
Die sensible Interaktion zwischen ökonomischen Entscheidungen und der Psyche des Menschen ist längst zum globalen Forschungsfeld avanciert – doch erst die neurologischen Studien verleihen den zusammenhängen den nötigen medizinischen Halt. Womit ebenso festzustehen scheint: Der Arzt könnte zum globalen Weltenretter avancieren – Pillen und Therapien für süchtige, panikgeplagte Börsianer hätten durchaus ihre Daseinsberechtigung. Der Lösungsansatz jedenfalls scheint festzustehen. In nahezu allen Forschungsarbeiten konnten die Mediziner nämlich die gefällten Entscheidungen ihrer Probanden als Sucht ausmachen. Besonders auffällig war dabei eine Beobachtung an der University of California in Berkeley: Dort konnten Neurologen anhand von fMRI-Aufnahmen nachweisen, dass impulsive Entscheidungen wie „jetzt kaufen“ einem geringen Dopamingehalt einhergehen – und zudem erblich vom Gen COMT geprägt sein könnten. Wer als Arzt Suchtkranke behandelt, wäre demnach auch als Mediziner für Broker die erste Wahl. Gegen Angst und Panikattacken wiederum müssten – folgert man den Beobachtungen der Neuroforscher – die üblichen Kandidaten her: TCAs , MAOIs oder SSRIs. Dieses Arsenal gegen den allgemeinen Finanzkollaps einzusetzen könnte Panikreaktionen vermeiden helfen – doch kaum ein Banker ließe sich wohl darauf ein. Von DocCheck nach seiner Meinung zur „Pille gegen den Crash“ als Lösung der aktuellen Bankenkrise hierzulande gefragt, antwortete ein leitender Firmenkundenberater einer deutschen Genossenschaftsbank sehr offen – doch medizinisch wenig bewandert: „Da hilft keine Pille, da hilft nur eine radikale Amputation“.