Das neu zugelassene Medikament Patisiran hat das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren. Der Wirkmechanismus, der dahinter steckt, wurde schon vor zwanzig Jahren entdeckt. Die große Hoffnung: Genetische Erkrankungen besser behandeln oder sogar heilen zu können.
Die Food and Drug Administration (FDA) hat erstmals eine Therapie zugelassen, die auf dem Mechanismus der RNA-Interferenz (RNAi) basiert. Seit der Entdeckung des Mechanismus vor 20 Jahren bemühen sich Wissenschaftler, die Technik in der Klinik anwenden zu können. Mithilfe der RNA-Interferenz lassen sich spezifische Gene stilllegen, die in Zusammenhang mit Krankheiten stehen. Der Wirkstoff zerstört die sogenannte Messenger-RNA (mRNA) und verhindert dadurch die Proteinproduktion dieser Gene. Die Zulassung des RNAi-Therapeutikums gilt als Meilenstein auf diesem Feld.
Es handelt sich um das Medikament Patisiran, das nun zur Behandlung von familiärer Amyloid-Polyneuropathie Typ 1 zugelassen ist. Bei dieser seltenen, aber unbehandelt meist tödlich verlaufenden Krankheit, lagern sich mutierte Formen des Transportproteins Transthyretin im Gewebe ab. Die Krankheit äußert sich zunächst durch Gefühlsstörungen und Lähmungen in den Extremitäten, im Endstadium können Herz- und Nierenfunktion beeinträchtigt sein. Weil das beschädigte Protein vorallem in der Leber gebildet wird, ist eine Lebertransplanatation bisher die wirksamste Behandlungsmöglichkeit. Mit dem neuen Medikament müssen Patienten womöglich nicht mehr länger auf eine neue Leber warten. Denn Patisiran bekämpft die Ursache der Erkrankung direkt: die Enstehung des fehlerhaften Transthyretins. Das Medikament bewirkt, dass die mRNA des mutierten Gens abgebaut wird, somit wird die Synthese des fehlerhaften Proteins behindert. In einer klinischen Phase-3-Studie hatten Wissenschaftler die Wirksamkeit des Medikaments geprüft. Von 255 Patienten mit familiärer Amyloidpolyneuropathie Typ 1 bekamen 148 Patisiran und 77 ein Placebo verabreicht. Nach 18 Monaten erzielte die Patisiran-Gruppe gemessen am modifizierten Neuropathy-Impairment-Score im Vergleich zu Placebo bessere Werte für Muskelstärke, Taubheitsgefühle und Reflexe. Auf dieser Skala (mNIS+7) werden Werte zwischen 0 bis 304 vergeben, wobei ein höherer Wert mit mehr Schmerzen, Taubheit oder Bewegungsbeeinträchtigungen einhergeht. Mit Patisiran konnte im Mittel eine Verbesserung um 34 Punkte erzielt werden. Außerdem verbesserte sich unter anderem der Blutdruck, die Herzfrequenz und die Patienten schnitten bei Lauftests besser ab.
Seit der Entdeckung des RNAi-Mechanismus haben eine Reihe von Rückschlägen die Erwartungen an RNAi-Therapeutika verringert. Einen Weg zu finden, die empfindlichen RNA-Moleküle sicher zum Zielorgan transportieren zu können, ohne dass sie vorher im Blut abgebaut werden, stellte dabei die größte Herausforderung dar. Während die Forscher dieses Problem zu lösen versuchten, verloren Investoren und Pharmafirmen das Interesse an der Entwicklung von RNAi-Therapeutika. Forscher experimentierten derweil mit einer Reihe von Transportwegen und Zielorganen, indem sie RNA-Moleküle in Nanopartikel einschlossen oder die RNA chemisch veränderten, damit diese die gefährliche Reise durch den Blutkreislauf überleben. Damit begann die erfolgreiche Entwicklung des Medikaments Patisiran. Die Behandlung mit RNAi-Therapeutika weckt große Hoffnungen. Zukünftig könnten damit genetische Krankheiten besser behandelt oder sogar geheilt werden. Allmählich springen Pharmafirmen wieder auf den Zug auf. Quark Pharmaceuticals aus Kalifornien beispielweise testet die Technik inzwischen auch bei Nieren- und Augenkrankheiten.