Kürzlich haben die Spitzenverbände der Krankenkassen „Gemeinsame Empfehlungen zur spezialisierten ambulanten Palliativ-Versorgung (SAPV)“ veröffentlicht. Erstmals sind so formale Voraussetzungen für SAPV erfüllt. Doch die Vereinbarung offenbart Schwächen – und Nachteile für Palliativmediziner.
Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Anpassung des SGB durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) war enorm. Denn in Deutschland haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts fünf bis acht Millionen Menschen behandlungsbedürftige chronische Schmerzen. Ob Erkrankungen des Bewegungsapparates, Verschleißerscheinungen der Gelenke oder Knochenschwund – für die betroffenen Patienten sind selbst kleinste Bewegungen eine Qual. Hinzu kommen die Fälle der Palliativmedizin bei Krebspatienten. Immerhin zwei von drei Menschen mit Tumoren leiden an Schmerzen, wie die vorläufige Auswertung einer europäischen Studie über Schmerzen bei Krebserkrankungen (EPIC - European Pain in Cancer) vor einem Jahr ergab. Die EPIC-Studie, die mehr als 4.000 Krebspatienten in 12 europäischen Ländern einbezog, gilt nach wie vor als die größte je durchgeführte Studie dieser Art zur Untersuchung der Auswirkungen und der Behandlung von Krebsschmerzen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass 73 Prozent der Patienten an Schmerzen leiden, die sie ihrem Krebs zuschreiben. Doch dem Wunsch der unrettbar Kranken, schmerzfrei zu Hause zu sterben, konnten Ärzte bisher nur unzureichend entsprechen. Denn dafür gab es für die behandelnden Ärzte keine finanziellen Mittel im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) - und es fehlte an ambulanten Palliativdiensten, die es bundesweit ermöglichten, diese Patienten bedarfsgerecht zu betreuen. Das soll sich nun massiv ändern.
„Das Ziel der SAPV ist es, mehr Schwerstkranken bis zuletzt ein Leben zu Hause zu ermöglichen“, brachte der am Universitätsklinikum Göttingen lehrende Professor Friedemann Nauck im Rahmen des 7. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in Wiesbaden die Sache auf den Punkt. Glaubt man dem Gesetzgeber, bietet der am 12. März 2008 in Kraft getretene SAPV-Beschluss des GBA eine Lösung. Denn die ambulante Schmerztherapie ist ein wesentlicher Bestandteil des Regelwerks, und: Vor allem aus medizinischer Sicht steht dem Konzept auf den ersten Blick nichts im Wege. Vertragsärzte und Krankenhausärzte können nämlich die SAPV verordnen. Zudem dürfen die Leistungen nur von Personen oder Institutionen erbracht werden, mit denen die Krankenkasse einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat. Im Klartext: Nach den Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen können Ärzte sowie Pflegefachkräfte endlich die SAPV erbringen, „wenn sie entsprechende Erfahrungen in diesem Versorgungsbereich nachweisen können“, wie der AOK-Bundesverband erklärt.
Der Teufel steckt im Detail
Demnach alles rosarot für Ärzte im neuen SAPV-Land? Keinesfalls. Das Palliativnetz Bochum beispielsweise wartete gleich mit einer ganzen Armada an Schwachpunkten im Alltag der Schmerzmediziner auf, das SAPV hat daran bei weitem nicht alles zum besseren gewendet. Der Appell der Mediziner richtete sich im vergangenen Jahr an ihre Kollegen, über eigene Erfahrungen mit dem Honorierungssystem der Kassen zu berichten. Die Kritik der Ärzte kam dabei nicht von ungefähr. „Wir bekommen stets Honorarbescheide, die unsere palliativärztliche Tätigkeit mit 0,36- 0,41 Cent pro Punkt vergüten. Da so gut wie alle Ärzte über ihrem Punktvolumen liegen, wird so de facto ein Hausbesuch mit 0,39 * 400 Punkten = 1,56 € vergütet“ heißt es dazu im Fragebogen der drei Doktoren.
Auch in Sachen Primärkassenvertrag wiesen die Bochumer auf erhebliche Schwachstellen hin: „Für 40% der Arbeitszeit in II/07 und die 24-Stunden-Dienstbereitschaft 4 weiterer Kollegen wurde ein Honorar von 825,72 € für 3 Monate bezahlt – das entspricht einem Stundenlohn von 2,29 € brutto. Geradezu abstrus wirkt eine Vertrags-Facette des Regelwerks. Zwar haben SAPV-Patienten Anrecht auf eine entsprechende Behandlung, nur: Die Kassen scheinen nicht mit jedem Schmerzmediziner zu verhandeln. Was auch bedeutet: Ohne Vertrag gibt es praktisch kein Honorar, wie das Palliativnetz Bochum erklärt: „Palliativmedizin ist im aktuellen EBM 2008 vergessen worden“. Wer dennoch als Vertragspartner in den in den Genuss der SAPV-Leistungsvergütung kommt, muss mit einem weiteren Nebeneffekt klarkommen, auf den der der AOK Bundesverband die Ärzteschaft aufmerksam macht: „Diese spezialisierten Leistungserbringer müssen für ihre todkranken Patienten dann rund um die Uhr erreichbar sein".