Mithilfe eines Enzyms wollen Forscher der Universität Erlangen-Nürnberg Autoimmunerkrankungen wie etwa die Multiple Sklerose, Arthritis oder den systemischen Lupus erythematodes bekämpfen. Das Besondere: Nicht das gesamte Immunsystem wird unterdrückt, sondern nur die schädlichen Autoantikörper.
Das Immunsystem hat vielfältige Aufgaben. Es soll unter anderem Krankheitserreger erkennen und bekämpfen. Läuft das Immunsystem aus dem Ruder, kann sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richten. Autoantikörper greifen dann körpereigene Gewebe an und können großen Schaden anrichten. Autoimmunerkrankungen können annähernd alle Gewebe und Organe betreffen, können nur einzelne Organe betreffen oder den ganzen Körper. Gemeinsam ist ihnen der chronische Verlauf und das Fehlen einer ursächlichen Therapie.
Gezielt gegen Autoantikörper
Im Kampf gegen Autoimmunerkrankungen sind die Möglichkeiten derzeit weitgehend auf die Entzündungshemmung und Immunmodulation bzw. -suppression begrenzt. Das komplexe Zusammenspiel des Immunsystems war bislang nicht ausreichend verstanden und der gezielte Angriff an den schädigenden Autoantikörpern nicht möglich. Einen neuen vielversprechenden Therapieansatz stellte ein Forscherteam um Professor Falk Nimmerjahn der Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Lund in Schweden vor. Wie in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS 2008; doi: 10.1073/pnas.0808248105) online veröffentlicht, gelang es den Forschern, die Zuckerseitenkette von IgG-Antikörpern mithilfe eines bakteriellen Enzyms zu entfernen und so die entzündliche Aktivität von Autoantikörpern zu unterdrücken. Bei dem Enzym handelt es sich um die sogenannte Endoglykosidase S (EndoS) aus Streptococcus pyogenes, ein Erreger eitriger Entzündungen.
Zuckermolekül ist Schlüssel
Das Zuckermolekül ist neben Eiweißbausteinen entscheidend für die Wirkung von Antikörpern, so auch für die zerstörerischen Auswirkungen von Autoantikörpern. Die Entschlüsselung der Zuckerseitenkette war Nimmerjahn in Zusammenarbeit mit Forschern der Rockefeller Universität in New York bereits früher gelungen (PNAS 2007; 104: 8433-8437). Sie konnten nachweisen, dass bestimmte Zuckerreste eine Schlüsselfunktion haben und über die zerstörerische Aktivität von Autoantikörpern entscheiden. Den Einfluss von veränderten Zuckerseitenketten untersuchten die Forscher im Tierversuch. Es stellte sich heraus, dass besonders Sialinsäurereste eine Schlüsselfunktion haben. Fehlen diese Zuckerreste, können Autoantikörper ihre zerstörerische Kraft voll entfalten. Entgegen der Vermutung, dass Serumproteine für die Aktivität von Autoantikörpern verantwortlich sind, entdeckten die Forscher zudem, dass spezielle zelluläre Rezeptoren (Fc-Rezeptoren) für die schädigende Wirkung der Autoantikörper verantwortlich zu machen sind. Bereits damals zeichneten die Forscher das Bild neuer Therapiemöglichkeiten bei Autoimmunerkrankungen.
Reaktion auch an menschlichen Antikörpern
Die jetzt gelungene Entfernung der Zuckerseitenkette von Antikörpern bewirkte im Tierversuch die erfolgreiche Unterdrückung verschiedener Autoimmunerkrankungen. Injektionen des Enzyms EndoS erlaubten, IgG-assoziierte Zuckermoleküle zu entfernen. Auch in anderen Autoimmunmodellen wie auch bei menschlichen Antikörpern konnte die Seitenkette entfernt werden, und die EndoS interferierte mit proinflammatorischen Prozessen, die durch Antikörper vermittelt werden.
Nicht das ganze Immunsystem unterdrücken
Vorteil des neuen Therapieansatzes wäre, dass das Enzym ganz gezielt auf spezielle Antikörper wirkt und nicht das gesamte Immunsystem unterdrückt, wie dies bei derzeit angewendeten Behandlungsmethoden der Fall ist. Die Folge gängiger Behandlungsverfahren ist deshalb beispielsweise eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen. Der gezielte Angriff auf die Zuckerseitenkette gelang allerdings nicht immer gleich gut und hing von individuellen Subklassen der IgG-Antikörper ab, sodass eine Wirkung möglicherweise nicht bei allen Patienten in gleichem Ausmaß zu erwarten wäre.