Mund, Anus, Vagina, Blase: Keine Körperöffnung ist zu eng für Chirurgen, die die neue Operationstechnik NOTES nutzen. Der Vorteil: Keine sichtbaren Narben. Doch ob deswegen unbedingt ein gesundes Organ in Mitleidenschaft gezogen werden muss?
Klingt harmlos, hats aber in sich: NOTES steht für Natural Orifices Transluminal Endoscopic Surgery, endoskopisches Operieren durch natürliche Körperöffnungen also. Bei NOTES werden nicht Hautschnitte sondern Mund, Anus, Vagina oder Harnröhre als Eintrittspforten genutzt, über die laparoskopische Instrumente in die Bauchhöhle eingeführt werden. Der entfernte Blinddarm, die exzidierte Gallenblase, ja sogar Teile des Dickdarms werden dann auf demselben Wege nach außen befördert, auf dem die Instrumente hinein gekommen sind.
Vor allem Südamerikaner stehen auf NOTES
Sichtbarstes beziehungsweise unsichtbarstes Resultat von NOTES-Eingriffen sind die fehlenden Narben an der Bauchwand. Wer entblößt am Strand liegt, dem sieht man die Appendektomie oder die Cholezystektomie dank NOTES nun überhaupt nicht mehr an. Der Preis dafür sind Schäden an vorher gesunden Organen, die für den Eingriff perforiert werden müssen, die Vagina, der Magen oder auch die Blase. Kein Wunder, dass Kritiker in NOTES nur den neuesten Exzess einer Welt im Jugendwahn sehen, einer Welt, der es auf nichts so sehr ankommt wie auf äußere Unversehrtheit. Aber es gibt auch andere Stimmen, die daran erinnern, dass Narbenbrüche und Verwachsungen reduziert werden könnten, dass Klinikaufenthalte verkürzt und Eingriffe weniger invasiv werden.
Zufall oder nicht, aber derzeit sind es vor allem Südamerikaner, die von NOTES begeistert sind: Viele hundert derartige Eingriffe wurden dort schon gemacht. Doch auch Chirurgen im deutschsprachigen Raum sind sehr aktiv. Was freilich bisher als NOTES verkauft wird, ist streng genommen nur ein Hybridverfahren: „Die Instrumente werden meist durch die Vagina eingeführt. Zusätzlich wird dann noch ein Hautschnitt gemacht“, betonte Professor Helmut Messmann vom Klinikum Augsburg bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in Berlin. Soll heißen: Statt drei Löcher, wie bei üblichen laparoskopischen Eingriffen, gibt es beim Hybrid-NOTES nur ein Loch in der Bauchwand. Dafür wird die Vagina verletzt, was zu Komplikationen führen kann, etwa Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder auch Unfruchtbarkeit. „Langfristig glaube ich deswegen, dass sich der Zugang über die Vagina nicht durchsetzen wird“, so Privatdozent Alexander Meining vom Klinikum rechts der Isar in München.
Neue Instrumente können auch der Endoskopie nutzen
Alternativen zum transvaginalen Zugang werden derzeit noch weit überwiegend am Schwein getestet. Denn keine von ihnen ist unproblematisch. Durch das Kolon oder durch den Magen beispielsweise kommen Chirurgen mit ihren Instrumenten relativ problemlos durch. „Was wir aber nicht wissen ist, ob wir damit in großer Zahl Infektionen der Bauchhöhle riskieren“, so Meining. In den meisten Schweinestudien werden deswegen antibiotische Maßnahmen zur Abschirmung beziehungsweise Darmdekontamination benutzt. Ob das beim Magen wirklich nötig ist, ist aber strittig. Denn Perforationen des Magens gibt es auch bei der herkömmlichen Endoskopie immer mal wieder: „Da passiert nie was“, lautete bei der DGVS-Tagung ein Zwischenruf aus dem Publikum. Es ist aber nicht nur die Infektionsproblematik, die den Magen oder Darm als Zutrittspforte für Instrumente schwierig macht. Auch die jeweiligen Löcher nach erfolgreichem Eingriff wieder dicht zu bekommen, ist eine Herausforderung, die bisher noch nicht gut gelöst. Messmann sieht das relativ pragmatisch: Wahrscheinlich werde eine der größten Errungenschaften des NOTES-Hypes darin bestehen, dass neue Instrumente entwickelt werden, die auch für die herkömmliche Endoskopie nützlich sind. Instrumente zum sicheren Verschluss von Schleimhäuten im Gastrointestinaltrakt beispielsweise.
Hoffnung auf die Harnblase
Geforscht jedenfalls wird zu NOTES an allen Ecken und Enden. Meinings Favorit ist der Zugang durch Harnröhre und Harnblase, den er derzeit am Schwein untersucht. Zu den Vorteilen der Harnblase zählt, dass sie einigermaßen steril ist. Außerdem ist sie ein Hohlmuskel, der Perforationen relativ gut weg steckt: Dank Ringmuskulatur schließen sich die Löcher in der Wand quasi von selbst. Nachteile gibt es aber auch hier: Die Urethra ist doch recht eng, wenn man bedenkt, dass dort mehrere Instrumente gleichzeitig durch passen müssen. Robust ist sie jedenfalls, denn sonst könnten sich Patienten nicht einen geblockten Katheter ohne größere Folgen heraus ziehen…