Ab 2009 müssen sich Ärzte die medikamentöse Behandlung von Patienten mit hohen Therapiekosten von einem Kollegen „genehmigen“ lassen. Ob die neue Regelung ihren Zweck erfüllt und neue Einsparungen bringt, ist mehr als fraglich. Nur eins ist sicher: Das Verordnen teurer Präparate zu Lasten der GKV wird nicht einfacher.
Glaubt man der jetzt publik werdenden Kritik der Pharmabranche, sind die Mitte Oktober getroffenen Entscheidungen schwerwiegend. Denn nach Meinung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat der G-BA die Behandlung von Patienten mit seltenen Krankheiten "verantwortungslos verzögert und mit unsinnigem Bürokratieaufwand erschwert".
Tatsächlich hat der G-BA Mitte des Monats seinen Beschluss über das so genannte Zweitmeinungsverfahren bei der Verordnung von kostenintensiven, besonderen Arzneimitteln veröffentlicht. Danach tritt die umstrittene Zweitmeinungsregelung in Kraft. Für den BPI ein klarer Fall von Benachteiligung sowohl für Ärzte, als auch ihrer Klientel. Die Behandlung von Patienten mit seltenen Krankheiten würde verzögert und erschwert, erklärte die stellvertretende BPI‑Hauptgeschäftsführerin Barbara Sickmüller, und: „Im schlimmsten Fall der Ablehnung durch ein Zweitgutachten werden die Kosten nach einer - zumeist im Krankenhaus - begonnenen Therapie nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet, obwohl für Patienten mit seltenen Erkrankungen keine alternativen Behandlungsoptionen bestehen.“ Für Mediziner besonders brisant: Derartige Hiobsbotschaften müssen die Ärzte ihren Patienten und deren Angehörigen mitteilen. Das hingegen sollten „die Mitglieder des G-BA“, tun, fordert Sickmüller. Diesen Wunsch dürften viele Ärzte teilen – und dabei übersehen, dass der G-BA hier nur ausführendes Organ der Gesundheitspolitik ist.
Testlauf in der Exotenindikation
Auf Grund der anstehenden Änderungen fordert der BPI, Orphan Drugs grundsätzlich aus dem Zweitmeinungsverfahren auszunehmen. „Insgesamt lässt sich nicht plausibel und transparent nachvollziehen, nach welchen Kriterien Präparate für ein Zweitmeinungsverfahren ausgewählt werden. Der G-BA muss sich den Vorwurf der Willkür gefallen lassen, wenn er hier nicht eindeutige Richtlinien festlegt“, betont Sickmüller den Standpunkt der Branche. Die gesetzlich erwünschte Kosteneinsparung wird sich mit dieser Generalamnestie freilich kaum erzielen lassen.
Möglicherweise ist die ganze Aufregung aber auch unnötig. Denn die zaghafte Entscheidung des G-BA, die Zweitmeinung ausgerechnet in der Exotenindikation „pulmonale Hypertonie“ auszutesten, weist nicht gerade darauf hin, dass man von der Wirksamkeit der neuen Regel als Kostenbremse überzeugt ist. Die etwa 3.000 bis 4.000 Patienten mit pulmonaler Hypertonie werden ohnehin nur von einer Handvoll Spezialisten behandelt – welchen Wert soll da die Zweitmeinung haben? Und wer soll sie abgeben? Hier lauern in der konkreten Umsetzung noch einige Überraschungen.
Noch unübersichtlicher dürfte die Situation werden, wenn der G-BA weitere seltene Erkrankungen (SE) in seine schwarze Liste aufnimmt. Denn auf SE spezialisierte Ärzte gibt es der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zufolge "nicht genug und das Problem ist die Kenntnis dieser und die Überweisung zu ihnen". So falle die richtige Diagnose oft zu spät oder gar nicht. Therapien seien unsicher, sie basierten auf kleinen Fallzahlen. Vielfach fehle es an Leitlinien und Empfehlungen für eine angemessene Therapie.
Ob sich die Zweitmeinungsregelung in diesem schwierigen Umfeld als tauglich erweist, kann nur die Praxis zeigen. Eines wird sie aber sicher erreichen: Den wachsenden Regeldschungel in der GKV zu Lasten von Ärzten und Patienten weiter zu verdichten. Und hier liegt vielleicht auch ihr verborgener Sinn: Denn mancher dringende Behandlungsfall dürfte sich vor Abschluss des Genehmigungsprozedere auf natürliche Weise „erledigt“ haben.