Die Traumatologie kriegt Lust auf Neues. Beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie warteten eine ganze Reihe von Experimentalchirurgen mit innovativen OP-Verfahren auf – zum Beispiel mit Knorpelkleister und mit einer Schraube, die plötzlich weg ist.
Bei der Behandlung von Patienten mit Knochenbrüchen hat sich seit der Einführung belastungsstabiler Osteosynthesen nichts mehr grundsätzlich verändert. Der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin hat in der vergangenen Woche aber gezeigt, dass den Operateuren am Skelettsystem die Lust an der innovativen Traumatologie alles andere als vergangenen ist.
Wenn der Chirurg 6.000 Mal beim Schlachthof klingelt…
So hat Privatdozent Dr. Carsten Englert von der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg für seine Arbeiten zur chemischen Überbrückung von Wunden des Gelenkknorpels den Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie erhalten. Mit einem neuartigen Knorpelkleister will er bei Frakturen mit Gelenkbeteiligung dafür sorgen, dass nicht nur die Knochenfragmente wieder zusammenwachsen, sondern dass auch noch die unvermeidlichen Löcher in der Knorpeldecke wieder abheilen. „In der Chirurgie galt für 150 Jahre das Dogma: Ist der Knorpel verletzt, dann heilt er nie wieder“, so Englert. Seit einigen Jahren wisse man aber, dass das zumindest in Zellkulturen so nicht stimme. Im lebenden Organismus hat der frakturierte Gelenkknorpel freilich nie seine Ruhe. Denn ein Gelenk wird ständig bewegt, und die Gelenkflüssigkeit spült und spült. Deswegen, so die Theorie, funktioniert in vivo nicht was in vitro eigentlich ganz gut klappt. „Unsere Idee war daher, dem Knorpel bei der Heilung zu helfen, indem wir die Knorpeloberfläche durch chemische Verfahren wieder herstellen“, so Englert. An Schlachtabfällen haben die Wissenschaftler diverse Knorpelkitts entwickelt und überprüft. „Alles in allem haben wir in den letzten zwölf Jahren rund sechstausend Knorpelstückchen vom Schlachthof geholt“, so Englert. Die Arbeit hatte Erfolg: Eine Kombination aus dem Imid EDC/NHS und dem Enzym Pepsin scheint einerseits ein effektiver Kleister zu sein, andererseits aber nicht zu aggressiv. Wie die Mixtur am besten aufgetragen werden muss, damit es wirklich nur zu der gewünschten Oberflächenwirkung kommt, wird jetzt untersucht. „Danach brauchen wir noch einmal einige Jahre Tierversuche, bevor wir an einen Einsatz beim Menschen denken können“, so Englert.
Schraube rein, Schraube weg.
Über ähnlich innovative Arbeiten konnte auch Dr. Fritz Thorey von der Medizinischen Hochschule Hannover berichten. Ihn stört, dass Menschen mit Knochenbrüchen häufig nicht nur einmal auf den OP-Tisch müssen, wenn sie mit einer Osteosynthese versorgt werden. Klar: In den allermeisten Fällen müssen die Nägel, Platten und Schrauben, die die Chirurgen im Skelett versenken, irgendwann wieder raus. Das passiert nicht von selbst. Aber warum eigentlich nicht? „Es wäre schon sehr elegant, wenn wir Implantate hätten, die vom Körper abgebaut würden“, so Thorey. Bedauerlicherweise scheiden bei derart esoterischen Ansprüchen Titan, Molybdän und Co als Bausubstanzen aus. Die kriegt der Körper weder klein noch raus. Was bleibt, sind zwei alte Bekannte: Calcium und Magnesium. Dass die nicht besonders stabil sind, weiß jeder, der schon mal entsprechende Brausetabletten aufgemacht hat. Trotzdem haben sich Thorey und seine Kollegen diesen beiden Werkstoffen in einem von der DFG geförderten Sonderforschungsbereich noch einmal angenommen. Und siehe da: „Es ist uns tatsächlich gelungen, mit modernen Methoden der Werkstoffforschung eine Legierung zu entwickeln, mit der vielversprechende Implantate hergestellt werden können“, so Thorey.
Wichtige Erkenntnis: Zuviel Calcium macht Blasen.
Der entscheidende Punkt bei der Sache ist, die Implantate lange genug stabil zu halten, um frühe Belastungen zu ermöglichen. Das scheint gelungen: Die MHH-Forscher haben ihre Implantate – sie enthalten nur 0,8 Prozent Calcium, weil sonst im Gewebe beim Abbau Blasen entstehen – mit Titanimplantaten verglichen und festgestellt, dass die Steifigkeit in etwa dem entspricht, was nötig ist. Die Legierungen dürfen dazu nicht einheitlich sein, sondern müssen für jeden Schraubentyp individuell angepasst werden. „Wir wollen jetzt erste Implantate für die Fußchirurgie herstellen“, kündigte Thorey an. Bei der Frage nach dem genauen Zeithorizont zog er sich freilich auf eine sibyllinische Formulierung zurück: Es sei vorstellbar, dass die neuen Implantate „in naher bis ferner Zukunft“ zu ersten Einsätzen beim Menschen kommen könnten. Aha.