Wenn die Industrie Hühnersuppe mit Hinweis auf die gesundheitsfördernde Wirkung vermarkten will, fällt das unter Functional Food. Ein boomender Markt, der in Europa mit der Health Claims Verordnung in verbraucherfreundliche Bahnen gelenkt werden soll.
Japanische Wissenschaftler stellten jüngst in Versuchen mit Ratten fest, dass die Eiweiße des Geflügelfleisches auch Blutdruck senkend wirken. Allerdings reiche die Hühnerbrust als Zutat nicht aus. Wirkungsvoller sei ein Extrakt aus Hühnerbeinen, so die Forscher, die im Auftrag der Lebensmittelindustrie Functional Food entwickeln. In dem collagenartigen Hühnerbein-Konzentrat wurden vier Proteinmischungen entdeckt, die, so vermuten die Wissenschaftler, den Blutdruck dauerhaft senken könnten. Ihr Ziel ist, Lebensmittel mit dem Extrakt anzureichern, die die Hersteller dann mit dem Hinweis, "beugt Hypertonie vor", vermarkten werden. In Japan ist Functional Food seit 1991 unter der Bezeichnung Foshu (Food for specific health use) zugelassen.
Zunehmende Überalterung der Bevölkerung
Für die japanische Industrie sind funktionelle Lebensmittel ein profitabler Markt mit enormem Wachstumspotential. Jeder zweite Japaner konsumiert gesundheitsversprechende Lebensmittel u.a. zur Verhinderung von Herzinfarkt, Verstopfung, Krebs oder Osteoporose. Für die Zulassung der Produkte gibt es gesetzlich verankerte Richtlinien. Anders als in Europa dürfen die Produzenten von Functional Food mit Angaben zur Gesundheitsförderung und zur Prävention von Krankheiten werben. Die Health Claims werden über ein spezielles Zulassungssystem geregelt, das vom Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales überwacht wird. Die zunehmende Überalterung der japanischen Bevölkerung und die damit ansteigenden Gesundheitskosten waren der Auslöser für die Liberalisierung des Functional Food-Marktes.
Functional Food in Germany
Functional Food kennen wir auch in Deutschland, insbesondere probiotischen Joghurt und Fruchtsäfte mit Vitamin ACE, aber auch bei Brot mit Omega-3-Fettsäuren. Der kleine Unterschied zu Japan: der Markt ist ungeregelt und die Produkte dürfen nicht mit gesundheitsbezogenen Angaben wie "Calzium reduziert ihr Risiko, an Osteoporose zu erkranken" beworben werden. Auch in den anderen EU-Ländern stellt sich das nicht anders dar. Das wollen die normierungswütigen oder auch weitsichtigen EU-Kommissare jetzt ändern. Was in Zukunft werblich erlaubt ist, soll die Health Claims Verordnung einheitlich für alle EU-Staaten festschreiben. Wenn es so weit ist, dürfen dann Werbeslogans auf den Produkten stehen, die in einer so genannten "Gemeinschaftsliste" oder "Positivliste" aufgeführt sind. Angaben, wie: "verringert Osteoporose-Risiko ", "senkt das Herzinfarkt-Risiko" oder "beugt Darmkrebs vor", das heißt, so genannte Risk Reduction Claims aber auch sonstige gesundheitsbezogene Angaben könnten dann zugelassen werden, wenn sie wissenschaftlich nachgewiesen sind.
Wissenschaftler in Nöten
Der wissenschaftliche Nachweis könnte sich allerdings als problematisch erweisen. Problematisch ist die Flut der weltweiten Studien, die das, was gestern noch als gut galt, heute oder morgen bereits an den Pranger stellen. Das erschwert auch der Wissenschaft den Durchblick. So galten Knoblauch-Pillen lange Zeit als Wundermittel gegen zu hohe Cholesterinwerte. Eine klinische Studie in USA stellte dagegen fest, dass sich die schädlichen LDL-Werte der Probanden nach sechs Monaten, in denen sie verschiedene Knofi-Präparate schluckten, nicht verändert hatten. Jüngstes Beispiel: Fischöl und die darin enthaltenen Omega 3-Fettsäuren stehen hoch im Kurs, weil sie Cholesterin senkend wirken und Herz-Kreislauferkrankungen vorbeugen. Bisher galt bei Wissenschaftlern, dass das Arsen im Fischöl vom Körper nicht aufgenommen wird. Jetzt kommt aus Graz die Hiobsbotschaft, dass just dieses Arsen Krebs erregen könnte. Die Forscher untersuchten die Öle vom Kabeljau – daraus wird Lebertran gewonnen – und vom Seeteufel.
Positive Aspekte der Health Claims Verordnung
Die Health Claims Verordnung könnte allerdings auch etwas Gutes bewirken. Beispielsweise, dass nationale Gesundheitsbehörden und die Pharma- bzw. Lebensmittelindustrie am gleichen Strang ziehen müssen. So legen beispielsweise neuere Studien nahe, dass die Vitamine ACE das Gegenteil von lebensverlängernd bedeuten könnten. Speziell bei rauchenden Männern stellte man fest, dass Beta-Carotin bzw. Provitamin A das Risiko erhöht, an Lungenkrebs zu erkranken. Das Bundesinstitut für Risikobewertung forderte daher schon vor Jahren die Hersteller auf, kein isoliertes Beta-Carotin zu verwenden. Nichts desto trotz fanden wir bei einem Pharmaunternehmen den Hinweis: "Beta-Carotin darf in der Schweiz und auch in Deutschland ohne besondere Bewilligung zugesetzt werden". Ein Hinweis auf Risikogruppen war zumindest auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Komplizierte und umstrittene Verordnung seitens Lebensmittel-Wirtschaft
Die komplizierte und vielfach umstrittene Health Claims Verordnung sieht einen Stufenplan für die Umsetzung vor, der bis in das Jahr 2022 reicht, so beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nachzulesen. Damit soll der Lebensmittelwirtschaft ausreichend Zeit zur Anpassung eingeräumt werden. Allerdings kommt von dieser Seite auch die größte Kritik. Die Verordnung sei zu bürokratisch und zu innovationsfeindlich, heißt es beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V." (BLL). Laut BVL wurden bisher 10.000 Zulassungsanträge aufgenommen.