Wie medizinische Leistungen über das Internet sinnvoll angeboten werden können, ist mächtig umstritten. Ein Lungenexperte aus England hat jetzt eine virtuelle Hustenklinik entwickelt – und versucht, die Hausärzte zwanglos und recht erfolgreich einzubinden.
Chronischer Husten ist nicht gerade ein Thema, bei dem sich die medizinische Öffentlichkeit allein durch Nennung der Erkrankung mobilisieren lässt. Doch es ist ein relevantes Thema: „Etwa sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden an chronischem Husten“, betont Dr. Alyn Morice vom Castle Hill Hospital in Cottingham, Großbritannien. Sofern keine fortgeschrittene COPD vorliegt, gilt es drei Hauptursachen zu bedenken: Asthma, chronische Rhinitis und die gastroösophageale Refluxerkrankung, die ebenfalls einen chronischen Hustenreiz „setzen“ kann.
Keiner liest Leitlinien? Alles eine Frage der Aufbereitung
Bei der Jahrestagung der European Respiratory Society in Berlin hat Morice jetzt eine Online-Hustenklinik vorgestellt, mit der die Quote an korrekten Diagnosen bei chronischem Husten nach oben getrieben werden soll. „Es gibt exzellente Leitlinien zu diesem Thema, die auch alle relevanten Diagnosen berücksichtigen. Die sind aber kaum bekannt. Unser Ziel war es, sie unter die Leute zu bringen“, so Morice. Dazu wurde von den Experten am Castle Hill Hospital ein Fragebogen entwickelt, der alle relevanten anamnestischen Fragen im Zusammenhang mit chronischem Husten enthält. Dazu gehört etwa die Frage, ob das Husten beim Singen oder Sprechen auftritt oder ob es im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme auftritt. Gefragt wird, ob dem Patienten ein Giemen/Pfeifen beim Atmen aufgefallen ist oder ob begleitend zum Husten häufig Schmerz oder ein Druckgefühl im Stirn-/Nasen-/Gesichtsbereich vorkommt. Dem Ganzen hat Morice einen Algorithmus unterlegt, der auf die drei Hauptursachen in Abhängigkeit von den Antworten des Patienten jeweils Punkte verteilt, ganz nach Art eines Diagnose-Scores. Am Ende wird dem Patienten dann die anhand dieses Punkte-Scores wahrscheinlichste Grunderkrankung mitgeteilt.
Blut? Rundherd? Bitte verlassen Sie dieses Computerspiel
Nun ist das bei Online-Ambulanzen immer so eine Sache. Denn natürlich kann sich hinter einem „chronischen“ Husten auch mal ein Karzinom, eine Tuberkulose oder irgendetwas anderes verbergen, das im Internet sicher nicht gut aufgehoben ist. Morice hat deswegen dem eigentlichen Hustenfragebogen einen zweiten Fragebogen vorweg gestellt. Dessen Zweck besteht darin, zumindest einige der Patienten auszusortieren, die in einer Internet-Hustenambulanz aller Wahrscheinlichkeit nach nichts verloren haben dürften. Gefragt wird an dieser Stelle beispielsweise, ob Blut im Sputum auftritt oder ob es in den letzten zwölf Monaten eine Röntgenthoraxaufnahme gegeben hat, die etwas anderes als einen Normalbefund erbracht hat. Lautet die Antwort „Ja“, dann wird dem Betreffenden gesagt, dass er zum Arzt gehen muss. Der eigentliche Hustenfragebogen kann dann nicht mehr abgerufen werden. In allen anderen Fällen bekommt der Patient am Ende des zweiten Fragebogens eine Verdachtsdiagnose geliefert. Diese – und das ist das Besondere – wird in Form eines Arztbriefes zum Ausdrucken geliefert, der die (digitalisierte) Originalunterschrift von Morice inklusive der Kontaktdaten seiner realen Hustenambulanz in Castle Hill enthält. Diesen Brief, der ganz wie bei einer Facharztüberweisung auch Therapievorschläge enthält, sollen die Patienten dann zu ihrem Hausarzt bringen, der über das weitere Prozedere dann frei entscheidet.
Die Online-Intervention zeigt Effekt
Morice hat in Berlin jetzt eine Auswertung über anderthalb Jahre Erfahrung mit seiner Online-Hustenambulanz vorgestellt. Und das Projekt scheint tatsächlich ein ziemlicher Erfolg zu sein. Satte 13.000 Menschen haben sich registriert, und davon haben immerhin 9.000 den kompletten Fragebogen durchlaufen. Rein statistisch gab es hier schon einige interessante Befunde: So gab immerhin jeder zehnte Hustenpatient an, ACE-Hemmer zu nehmen. „Das sollte so ziemlich das erste sein, das der Arzt bei chronischem Husten durch etwas anderes ersetzt“, so Morice. Die unterschiedlichen Altergruppen waren gleichmäßig vertreten. Auch über 60-jährige haben das Internet nicht gescheut. Der Diagnosealgorithmus spuckte bei 46% der Patienten eine Refluxerkrankung als wahrscheinlichste Diagnose aus, bei 39% war es Asthma und bei 15% eine Rhinitis.
Interessant sind die Follow up-Daten: Zwei Monate später gaben sechs von zehn Patienten an, den ausgedruckten Brief ihrem Arzt vorgelegt zu haben. Und davon waren wiederum etwa zwei Drittel auf eine der empfohlenen Therapien umgestellt worden. „Insgesamt habe ich bei 10.000 Fragenbögen nur zwei Beschwerdebriefe von Kollegen bekommen“, berichtet Morice. Einer davon meckerte destruktiv über „Geldverschwendung“. Ein anderer wies darauf hin, dass die vorgeschlagene Diagnose Asthma im speziellen Fall sicher nicht in Frage komme. Morice: „Zwei von 10.000, das ist eine gute Quote!“