In Deutschland liegen ca. 8.000 Patienten im Wachkoma. Mit Elektrostimulation gelang es bereits, das Hirn von Betroffenen "aufzuwecken". Neue Methoden der Bildgebung zeigen, welche Sinneseindrücke bei Patienten ankommen. Sogar imaginäres Tennis ist möglich.
Am Tag vor einer geplanten Herzoperation am 5. Januar 2006 sorgte ein Schlaganfall dafür, dass sich das politische Leben in Israel grundlegend änderte. Seit dieser Zeit kann Ariel Sharon nichts mehr für sein Land tun. Seit knapp drei Jahren liegt der frühere Ministerpräsident im Koma. Ein Herzstillstand sorgte auch bei der Amerikanerin Terri Schiavo für eine Bewusstlosigkeit, die 15 Jahre dauerte. Schiavo wurde berühmt, als es ihr Ehemann 2005 gegen alle juristischen Widerstände schaffte, die Ärzte zum Abschalten der lebenserhaltenden Geräte zu bewegen. Noch ein Jahr länger liegt die Italienerin Eluana Englaro nach einem Autounfall im Wachkoma. Das oberste italienische Berufungsgericht hat jüngst Sterbehilfe-Maßnahmen für die nunmehr seit über 16 Jahren im Koma liegende Frau gebilligt.
Mit TMS aus dem Wachkoma
Bei allen drei Patienten stellen sich Angehörige und Ärzte die Frage: Gibt es nach so langer Zeit noch Hoffnung? Oder sind fünf Jahre Koma ein Zustand, der gerade noch nicht allen Kriterien für den Hirntod entspricht? Auch Josh Villa zeigte seit seinem Autounfall im August 2005 keinerlei Reaktionen auf irgendwelche Stimuli. Anstatt Villa für den Rest seines Lebens in häusliche Pflege zu geben, probierte seine Neurologin Theresa Pape, sein Gehirn mit transkranieller Magnetstimulation wieder zu aktiveren. Tatsächlich schaffte es Villa nach 15 Behandlungen, den Kopf zu drehen, wenn er angeredet wurde. Inzwischen gelingen ihm sogar einzelne Worte und Fingerbewegungen. Die bisher nicht beobachtete Wirkung dieser Elektrostimulation bei Komapatienten berichtete Pape vor einigen Wochen auf dem internationalen Hirnstimulations-Kongress in Göttingen. Noch sind diese Versuche allerdings nicht wiederholt und bestätigt worden. Es könnte somit auch Zufall gewesen sein, dass ein Koma-Patient nach einem Jahr wieder aufwacht. Mit Medikamenten und Tiefenhirnstimulation gelang es aber auch schon früher, Patienten zu wecken. Im Gegensatz zu Villa sahen die Ärzte bei ihnen aber auch schon vorher Zeichen von bewusster Wahrnehmung und Reaktionen.
Welche Bereiche sind beim Koma abgeschaltet, endgültig oder nur vorübergehend? Ein Bericht in der aktuellen Ausgabe von Lancet Neurology gibt einige Antworten auf diese Fragen. Mélanie Boly und Steven Laureys von der Universität Lüttich untersuchten Patienten mittels PET und testeten ihre Reaktion auf schwache elektrische Schmerzreize. Bei fünf Patienten im "Minimal Conscious State" (MCS) beobachteten die Forscher auf ihrem Monitor dabei in der "Schmerz-Matrix" des Gehirns die gleichen Bilder wie bei der gesunden Kontrollgruppe. Deutlich schwächer waren die Signale in dieser Region - sie setzt sich aus somatosensorischem Cortex, Thalamus, Insula und dem Anterior Cingulate Cortex zusammen - bei 15 Patienten im "persistenten vegetativen Status".
Artefakt des letzten Jahrhunderts
Das tiefe Koma ist ein medizinisches Artefakt. Es entstand erst, als mit künstlicher Beatmung gelang, die Herzfunktion von der Gehirntätigkeit zu trennen. Bei Jüngeren sorgen meist unfallverschuldete Schädel-Hirntraumata dafür, dass das zentrale Nervensystem das Bewusstsein abschaltet, bei älteren Patienten ist die Ursache oft eine Anoxie aufgrund eines Herzinfarkts oder einer schweren Operation. Im vegetativen Status erkennt der Patient seine Umwelt nicht mehr. Er kann keinen Kontakt zu seiner Umgebung aufnehmen und reagiert nicht auf Ansprache. Auch Blasen- und Darmmuskeln gehorchen nicht mehr den Befehlen des Gehirns. MCS-Patienten behalten dagegen noch einfache Reaktionen und handeln zielgerichtet. Eine ganz andere Gruppe bilden Patienten mit einem "Locked-in-Syndrom“, die ihre Umgebung deutlich wahrnehmen, aber keine Möglichkeit zur Verständigung nach außen haben.
Nach Meinung des Koma-Experten Steven Laureys aus Lüttich sind die Chancen auf eine Verbesserung eines vegetativen Zustands drei Monate nach einem nicht-traumatischen Hirnschaden und zwölf Monate nach einer traumatischen Hirnverletzung sehr gering. Beim "leichteren“ MCS-Koma haben die Therapeuten öfter Erfolg. Das belegen auch zahlreiche Beispiele eines Erwachens selbst nach Jahren.
Die Bildgebung mit PET und fMRT macht es nun möglich, den Zustand des Patienten besser einzuordnen. Fehlen deutliche Reaktionen auf Schmerzreize, stehen die Chancen für die Besserung schlecht. Angehörigen und Ärzten geben die Befunde eine erweiterte Grundlage für den Einsatz von Schmerzmitteln im Vergleich zu den bisherigen Koma-Skalen. Diese richteten sich nach gut erkennbaren Reaktionen und auf die Möglichkeit zur Verständigung. Nicht immer sind jedoch Stöhnen und eine bewegte Gesichtsmimik willentlich gesteuert.
Kontakt mit dem "Jenseits“
Auf dem Europäischen Neurologen Kongress 2008 in Nizza zeigte Laureys Daten von 13 Patienten, bei denen er die Grundaktivität des Gehirns mit Gehirnscans maß. MCS-Patienten hatten demnach eine zehnprozentige Reduktion dieses "Hintergrundrauschens" gegenüber Gesunden, bei Patienten im tiefen Wachkoma lag der Wert um rund ein Drittel niedriger. Bei hirntoten Patienten war in den Aufnahmen keine Aktivität mehr zu sehen.
Der Brite Adrian Owen beschrieb 2006 in einem Science-Artikel, wie es ihm gelang, mit einer Patientin im vegetativen Stadium eine Verständigung aufzubauen. Unter anderem bat er sie, sich vorzustellen, sie spiele Tennis. Auf den fMRT-Bildern leuchtete daraufhin die gleiche Region wie bei Gesunden mit dem gleichen Auftrag auf. In einem Zeitalter, in dem sich der Mauszeiger auf dem Computermonitor, aber auch Prothesen allein mit Gedankenkraft steuern lassen, könnte es damit vielleicht auch gelingen, Kontakt mit Patienten jenseits der Bewusstseinsgrenze aufzunehmen.