Das noch aus Zeiten der Contergan-Affäre bekannte Thalidomid kommt wieder – aber nicht per Post. Ende November wird der Bundesrat eine Verordnung unterzeichnen, die den Versand ausschließt. Die Branche beobachtet den Fall genau.
Noch nie wurde ein neues Medikament mit so vielen Sicherheitsauflagen belegt. Noch nie wurden für einen therapeutischen Einsatz eines Arzneimittels so hohe Hürden gelegt. Die Einführung der beiden Wirkstoffe Thalidomid und Lenalidomid auf den europäischen Arzneimittelmärkten ist flankiert von einem Sicherheitsprogramm, das in der Geschichte der Pharmakotherapie seinesgleichen sucht.
Kein Versand. Nur von Hand zu Hand.
Der Grund dafür ist jedem bekannt: Thalidomid war der Wirkstoff in den von Grünenthal Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre vertriebenen Schlaftabletten der Marke Contergan. Lenalidomid ist ein dem Thalidomid chemisch eng verwandter Wirkstoff, der ebenfalls unter die Bestimmungen des STEPS genannten Sicherheitsprogramms fällt. Beide Substanzen wurden kürzlich in Europa als Teil von Kombinationsbehandlungen für die Therapie von Patienten mit multiplem Myelom zugelassen, Thalidomid (Pharmion®) für die Erstlinientherapie, Lenalidomid (Revlimid®) für die Zweitlinientherapie. Im Zusammenhang mit der Umsetzung des Sicherheitsprogramms hat das Bundesministerium für Gesundheit jetzt eine Verordnung vorgelegt, die in der Versandapothekenbranche aufmerksam verfolgt wird. Denn mit dieser Verordnung wird unter anderem die Apothekenbetriebsordnung geändert: Es wird ein Passus eingefügt, der den Versand von thalidomid- und lenalidomidhaltigen Fertigarzneimitteln untersagt. Ein solches Versandverbot ist nicht Teil der internationalen Vereinbarungen. Die Bundesregierung geht hier einen Sonderweg: Zum ersten Mal wird bei einem Fertigarzneimittel explizit der Versand verboten. Es stellt sich also die Frage, ob bei Thalidomid eine Ausnahme gemacht wird, die der katastrophalen Historie geschuldet ist, die diese Substanz hinter sich hat – oder ob hier das erste Kapitel einer „Schwarzen Liste“ geschrieben wird, mit der der Arzneimittelversand in Deutschland stärker an die Kandare genommen werden soll.
Nur ein Politikum – oder doch eine neue Politik?
Die Reaktionen auf die neue Verordnung, die im Gesundheitsausschuss des Bundesrats bereits behandelt wurde und die im Bundesrat voraussichtlich in der Sitzung am 28. November 2008 endgültig verabschiedet werden wird, sind ambivalent: „Wir sind froh, dass die Substanzen über die Apotheke abgegeben werden sollen und nicht direkt über den Arzt“, sagt etwa der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken BVDVA, Christian Buse, im Gespräch mit DocCheck. Er betont, dass er an dieser Stelle keine Fronten aufmachen möchte, und dass Thalidomid und Lenalidomid ohnehin nur in sehr geringem Umfang in den Verkehr gebracht würden. „Die Sache ist ein Politikum, und beim Thema Thalidomid kann ich das nachvollziehen“, so Buse. Der Apotheker weist auch daraufhin, dass schon jetzt einige Arzneimittel nicht versendet werden – oder jedenfalls nicht versandt werden sollten. Dazu gehören beispielsweise speziell hergestellte Zytostatika-Lösungen, die in Glasflaschen transportiert werden. Tatsache bleibt aber, dass bisher keinem Fertigarzneimittel aus Sicherheitsgründen der Versand pauschal und per Gesetz untersagt wurde. Dazu konnte sich die Politik bisher nicht einmal bei Betäubungsmitteln durchringen – trotz Abhängigkeitspotenzial. Und natürlich gibt es neben Thalidomid auch eine ganze Reihe anderer, hoch embryotoxischer Chemotherapeutika, die oft und gerne versandt werden. Buse weiß das, und so ganz ohne Skepsis ist er dann doch nicht: „Wir beobachten das natürlich schon mit Argusaugen“, so der BVDVA-Chef.
ABDA: Schwarze Liste für alle rezeptpflichtigen Präparate!
Bei der ABDA ist die Reaktion ähnlich zwiespältig, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Von Jubel über die politische Bremse für den Versandhandel findet sich jedenfalls keine Spur: „Unsere Haltung ist und bleibt, dass wir eine Regelung anstreben, wonach nur OTC-Präparate versandt werden dürfen. Daran hat sich nichts geändert“, so ABDA-Sprecher Christian Splett. Soll heißen: Lieber als eine „Schwarze Liste“ sähe man ein generelles Verbot für den Versand rezeptpflichtiger Arzneimittel in Deutschland, egal ob embryotoxisch oder nicht, egal ob mit Abhängigkeitspotenzial oder ohne.