Dr. Julius Hackethal: Grenzgänger zwischen Schulmedizin, komplementären Behandlungsformen und Scharlatanerie. Ein Versuch, die widersprüchliche Persönlichkeit und Vita des vor elf Jahren verstorbenen, ersten Kritikers der Ärzteschaft zu erfassen.
Unangepasst - das ist wohl mit der erste Begriff, der einem in den Sinn kommt, wenn man den Namen Julius Hackethal hört. Nicht zu Unrecht, denn schon mit dem von ihm selbst ausgelösten Ende seiner medizinisch-akademischen Laufbahn zeigte Hackethal, dass er bereit war, für seine Überzeugung teuer zu bezahlen und für seine Ideen einzustehen. Damals, 1963, in einer Zeit, als noch niemand den Muff unter den Talaren anzuprangern wagte und Klinikleiter mindestens als Halbgötter in Weiß galten, warf er seinem Chef an der Chirurgischen Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg 138 Kunstfehler vor und stellte gar Anzeige wegen Mordes - der „Erlanger Professorenstreit“ ging in die deutsche Medizingeschichte ein. Doch alle Vorwürfe wurden entkräftet; Hackethal musste die renommierte Klinik verlassen und wurde zunächst Assistenz-, dann Chefarzt an einem städtischen Krankenhaus in der schleswig-holsteinischen Provinz, danach leitete er verschiedene Sanatorien und Rehabilitationskliniken. Mit dem Buch „Auf Messers Schneide“, das sich zum Bestseller entwickelte, veröffentlichte er eine Abrechnung mit seinem Berufsstand.
„Jeden Patienten wie den besten Freund behandeln“
Hackethal interessierte sich nicht primär für die Erkrankung, sondern für den Menschen mit seiner Krankheitslast. Er wusste früh, was Krebspatienten bewegt und ängstigt, was sie sich in ihrem von der Krankheit gezeichneten Leben wünschen: Vor allem weniger Angst und weniger Schmerzen - und so richtete er seine „Therapien“ an eben diesen Bedürfnissen aus. Er wollte, so Hackethal in seinen eigenen Worten, „jeden Patienten wie seinen besten Freund behandeln“. Mit diesen Ansichten sprach er vielen Krebskranken aus der Seele, welche die in den Kliniken praktizierte Schulmedizin und ihre Anwender als kalt und seelenlos empfanden. So legte er in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person den Grundstein für das ihm entgegen gebrachte Vertrauen – und für seine revolutionären Thesen.
Vom Haustierkrebs zum Raubtierkrebs
Eine humanere Medizin, wie sie Hackethal vorschwebte, sollte „mitfühlen, und nicht bloß reparieren“ – und an dieser Stelle beginnt Hackethal den Weg der Vernunft zu verlassen. Das „bloße Reparieren“ rückte in Hackethals medizinischem Weltbild im Verlauf der späten 70er Jahre immer mehr in den Hintergrund. 1981 kehrte er nach einem Besuch der Cleveland-Klinik in Ohio mit der These nach Deutschland zurück, dass man bestimmte Krebsarten gar nicht nach schulmedizinischen Erkenntnissen therapieren sollte: Der Krebs, zumal derjenige der männlichen Vorsteherdrüse, sei von Natur aus ein friedlicher „Haustierkrebs“. Erst wenn man ihn mit Skalpell, Chemotherapie oder Strahlung attackiere, werde er zum tödlichen „Raubtierkrebs“. In der Folge warfen Kritiker Hackethal Geltungssucht vor, doch in der Person des streitbaren Mediziners hatten sie es mit einem echten Überzeugungstäter zu tun: Den eigenen Prostatakrebs ließ Hackethal unbehandelt – mit allen Konsequenzen...
Publizistischer Auftrieb für die Sterbehilfe
Zu Beginn des Jahres 1984 rückte ein weiterer Streitpunkt ins Visier des kämpferischen Hackethal: Die Sterbehilfe. Er drehte einen Film, in dem gezeigt wurde, wie er einer Patientin Zyankali gab, nach dessen Einnahme die an Gesichtskrebs erkrankte Frau starb. Verurteilt wurde Hackethal jedoch nicht, da die Patientin das Gift selbstständig eingenommen hatte. Das Gericht wertet den Fall als eine Beihilfe zum Suizid, die straflos ist. Das Urteil gibt der deutschen Sterbehilfe-Bewegung publizistischen Auftrieb. Hackethal wird zum lautstarken Verfechter einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe sowie ärztlicher Beihilfe zum Suizid. Später bekannte Hackethal öffentlich, auch seiner Mutter eine tödliche Spritze gesetzt zu haben.
„Ich habe keinem einzigen Patienten geschadet, nur mir.“
Doch gegen Ende des Jahres 1986 nahm Hackethal den Mund zu voll, als er behauptete, in seiner Klinik im Chiemgau 90 % aller Krebserkrankungen erfolgreich behandeln zu können. An diesem Punkt - aber auch erst hier - kippt Hackethals Bild vom streitbaren, unangepassten Menschenfreund in Richtung geschäftstüchtiger, verantwortungsloser Scharlatan, der mit den Hoffnungen seiner todkranken Patienten spielt. Später distanzierte er sich mit Hackethalscher Eloquenz von seinen Versprechungen: „Ich habe keinem einzigen Patienten geschadet, nur mir.“ Die Konsequenz der Nichtbehandlung seiner Krebserkrankung kostete ihm letztendlich das Leben: Julius Hackethal verstarb am 17. Oktober 1997 im Alter von 75 Jahren an den in die Lunge gewanderten Metastasen seines „Haustierkrebses“.