Oft sind es die eingeschränkten Wahlmöglichkeiten in der schulmedizinischen Krebstherapie, die Kranke zur Suche nach alternativen Behandlungsformen treiben. Wie in diesem Fallbeispiel, wenden sich Patienten aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins von der herkömmlichen Medizin ab.
Ingrid S. (Name geändert) wuchs in den Wirren der Nachkriegszeit auf. Die heute 67-jährige Rentnerin musste in ihrer Kindheit 1945 mit ihrer Mutter aus dem ehemaligen Pommern nach Deutschland flüchten. Dort wuchs sie in Berlin auf, brachte drei Kinder zu Welt und arbeitete als Schneiderin im Familienbetrieb mit ihrem Mann. Ingrid S. erkrankte 1993 an Brustkrebs. Die behandelnden Ärzte eines großen Berliner Klinikums nahmen eine Amputation vor, ohne Frau S. in irgendeiner Form alternative Möglichkeiten in Aussicht zu stellen. Nach dieser für sie traumatischen Erfahrung wandte sich Ingrid S. radikal von der Schulmedizin ab und begab sich auf eine lange Suche nach alternativer Heilung.
Frau S., was folgte damals auf die Diagnose Brustkrebs?
Es folgte eine Behandlung, die mein weiteres Leben drastisch geprägt hat. Nach der Diagnose fand ich mich in einem großen Berliner Klinikum wieder, wo man mich gleich vor vollendete Tatsachen stellte. Das heißt: Amputation einer Brust. Niemand hielt es für nötig, mich im Detail über die Ursachen aufzuklären, ganz zu schweigen von möglichen Alternativen.
Und daraufhin haben Sie sich um alternative Behandlungsformen gekümmert?
Nein, ich habe mich operieren und mir eine Brust amputieren lassen. Ich will gar nicht davon reden, was der Krebs für einen Menschen und was insbesondere die Brustamputation für eine Frau bedeutet. Aber das Schlimmste war für mich nach der Operation, dass ich mich so abgefertigt und überfahren gefühlt habe in dieser riesigen Fabrik von Krankenhaus. Und dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Da habe ich mich sehr über mich selbst geärgert. Das heißt, ärgern kann man das gar nicht nennen, ich war fassungslos. Und es war nicht mehr rückgängig zu machen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Man hat mir psychologische Hilfe angeboten, aber die habe ich abgelehnt. Ich wollte nur noch nach Hause und meine Ruhe haben. Und ich musste ja weiter funktionieren. Ich habe drei Kinder, der Jüngste wohnte damals noch zuhause. Außerdem konnte ich meinen Mann und unsere gemeinsame Firma nicht im Stich lassen. Ich war halt Zeit meines Lebens auf Durchhalten ohne Rücksicht auf mich selbst getrimmt. In der ersten Woche nach der Operation gönnte ich mir nachmittags ein paar Stunden Schlaf auf der Wohnzimmercouch, aber im Prinzip habe ich mir kaum eine Schonfrist gestattet.
Was war dann der Auslöser, sich um alternative Behandlungsformen zu kümmern?
Ich war und bin heute immer noch der Meinung, dass eine sofortige Amputation nicht notwendig war. Da wurde wie auf dem Fließband im Schlachthof einfach das Messer gezückt, so hat sich das angefühlt für mich. Ich habe mich dann langsam näher mit dem Thema Krebs beschäftigt. Ich musste mich ja regelmäßig auf Metastasen untersuchen lassen. Ich wollte also mein Leben umstellen, so dass der Krebs nicht wiederkommen würde. Ich habe dann angefangen, Bücher zu lesen, habe verschiedene Heilpraktiker besucht, mich mit Ernährung beschäftigt und vor allem alles hinterfragt.
Welche alternativen Methoden haben Sie dabei kennen gelernt?
Ich habe mich inzwischen mit so ziemlich allem möglichen beschäftigt. Es hat sich eine ganze Bibliothek von Büchern angesammelt. Meine Kinder und mein Mann waren da nicht immer begeistert, wenn ich Bücher mit dem Titel „Erdwesen und Christuskraft“ gelesen habe. Aber ich behaupte, dass ich das Asthma meines jüngsten Sohnes vor etwa zehn Jahren mit richtiger Ernährung und der Hilfe von Homöopathie in den Griff bekommen habe. Seitdem habe ich zahlreiche spirituelle Heilkundler aus ganz verschiedenen Disziplinen besucht. Heute gehe ich zum Beispiel regelmäßig zu einer Vitalistin.
Können Sie denn sagen, was Ihnen geholfen hat?
Ja. Aber es hat mir nicht genau eine alternative oder spirituelle Therapie geholfen, sondern meine lange Suche, die zum wichtigsten Teil meines Lebens geworden ist. Vor allem seitdem ich nicht mehr berufstätig bin, stehe ich morgens etwa um fünf Uhr auf und lese stundenlang, bevor die Welt um mich herum wach wird. Außerdem achte ich nach wie vor sehr akribisch auf meine Ernährung. Ich kann heute mit 67 Jahren sagen, dass ich immer noch genügend Kraft habe, um viel im Garten zu arbeiten. Wenn ich heute irgendwelche Beschwerden habe, gehe ich im Prinzip nicht mehr zum Arzt; abgesehen von einer leichten Schwerhörigkeit, bei der ich auch kein Hörgerät verweigere. Aber ansonsten kuriere ich mich selbst mit ganz bestimmten Diäten. Natürlich spielt die Seele eine ebenso große Rolle. Ich habe mich auch viel mit Religion beschäftigt, mit meiner Herkunft und der Familie, in der ich aufgewachsen bin. Vor dem Krebs bestand mein Leben ja nur aus Funktionieren, also Kinder und Arbeit. Mein Mann und ich hatten damals wie gesagt eine Firma, für die wir alles gegeben haben. Nicht einmal ins Kino sind wir früher gegangen. Das ist ja kein Wunder, dass man krank wird bei so einem Leben. Und seit dem Krebs sorge ich selbst für meine Gesundheit, seelisch wie körperlich.
Frau S., vielen Dank für dieses Gespräch.