Ein Abend beim Studienkreis „Germanische Neue Medizin“ – inkognito natürlich, da die Jünger der obskuren Heilslehre sich gegenüber der Presse zurückhaltend zeigen. DocCheck schaute der Anhängerschaft von Ryke Geerd Hamer unter den verbeulten Bronzehelm.
Köln, ein Stadtteil im rechtsrheinischen Norden: In einem der Versammlungsräume des hiesigen Schützenheimes tagt der „Studienkreis Germanische Neue Medizin“ - eine Gruppe von knapp 20 Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Bildung und sehr stark voneinander abweichendem Stil: von gestärkten Blusen über Bundfaltenjeans bis hin zur eigenwilligen Kombination von brauner Lederjacke zu Tennisshorts. Der kleine Kreis erscheint auf den ersten Blick recht uneinheitlich. Was die Teilnehmer dieses Studienkreises eint, ist nicht allein das Interesse an einer verworrenen, pseudomedizinischen Lehre. Als sinnstiftendes Element erscheint vielmehr die vehemente Verneinung der Schulmedizin und eine an Hass grenzende Ablehnung der Ärzteschaft.
Das Nonplusultra gefährlicher Scharlatanerie
Auf den in einem vorausgegangenen Telefonat großspurig angekündigten Fallbericht in Anwesenheit des Patienten musste verzichtet werden: Der an einem Hirntumor erkrankte Junge könne nicht kommen, da dieser, so der Vortragende Günter K., „von der Schulmedizin kaputt-therapiert wurde und nun ein Pflegefall“ sei. Aber es wurde auch ohne diesen Auftritt ein höchst interessanter Abend, an dem man als versteckt teilnehmender Beobachter still in sich hätte hinein lächeln können, gehörten die ausgebreiteten Thesen nicht zum Gefährlichsten, was an Pfusch und Scharlatanerie verfügbar ist. Urheber der Germanischen Neuen Medizin (GNM) ist Ryke Geerd Hamer: 1935 geboren, 1972 Facharzt für innere Medizin, Approbationsentzug 1986, seit mehreren Jahren im Ausland um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Im Jahre 1978 verlor Hamer seinen Sohn Dirk durch ein tragisches Unglück und erkrankte kurze Zeit später an Hodenkrebs. Nach und nach kristallisierte sich für ihn der Zusammenhang zwischen dem Verlust seines Sohnes und seiner Krebserkrankung heraus, wonach er die drei Punkte der „Eisernen Regel des Krebses“ formulierte:
Ist der Krebs zu stark, bist du zu schwach
Verwirrt? Diese auch als 1. Biologisches Naturgesetz der GNM bezeichneten Thesen meinen nichts anders als: Krebs ist keine Krankheit, sondern ein durch ein seelisches Trauma ausgelöster, physiologischer Vorgang, der ausgehalten und überwunden werden muss - ohne Chemo, Stahl oder Strahl, wie es im Jargon der „Germanischen“ heißt. Dafür aber mit allen Konsequenzen: Stirbt der Patient, war er der inneren Konfliktlösung nicht gewachsen - ist der Krebs zu stark, ist der Patient zu schwach. Das passiere allerdings nur in Ausnahmefällen: Laut Hamer überleben 98 Prozent der Krebspatienten diese Therapieform, die durch das bloße Aushalten der Krankheitslast geprägt ist. Gestorben werde nur an der Panik, welche die ärztliche Prognose auslöse, und an den Belastungen durch die schulmedizinische Krebstherapie. Stichwort Panik: Bei dem Studienkreis im Schützenheim wurden die Zuhörer mehrfach auf diesen Zusammenhang hingewiesen: „Es gibt keine Metastasen - das sind Zweitkrebse, die durch die von der Diagnose 'Krebs' ausgelösten Panik entstehen.“ Weitere Bonmots an diesem Abend, die offenbaren, welche Krankheiten - pardon: Sinnvolle Biologische Sonderprogramme - mittels GNM überwunden werden können:
Am rechten Rand des politischen Spektrums
Zwischen diesen bizarr anmutenden Glaubenssätzen schimmerte immer wieder durch, mit welcher politischen Grundhaltung das „Germanische“ in der „Neuen Medizin“ wirkt. Die Schulmedizin ist nach Hamer das Ergebnis einer Verschwörung von „Talmud-Zionisten“. Aha. Mehrfach lavierte auch der Vortragende an dem Abend um den Begriff „Juden“ herum, die er gestelzt „Einwohner des Staates Israel“ nannte. Denn, so wörtlich: „Bei Verwendung des anderen Ausdrucks könne er ja mit dem Gesetz in Konflikt kommen“ - Hamers paranoider Antisemitismus lässt grüßen.
Nach über zwei Stunden Wirrwarr war das Vortragsprogramm des "Studienkreises Germanische Neue Medizin" beendet. Am Ende ist diese Irrlehre leider nicht: In Berlin kommen zeitweise über hundert Interessierte zu den monatlich stattfindenden Studienkreisen, von denen es in Deutschland über 60 gibt.
Abschließend die offizielle Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft zur GNM: „Es sind mehrere Todesfälle von Menschen, die seiner (Hamers) Theorie vertrauten, gut belegt, die unter schulmedizinischer Behandlung eine realistische Heilungschance besessen hätten. Deshalb ist die GNM mit allem Nachdruck als einerseits absurd, andererseits aber bewiesenermaßen gefährlich zurückzuweisen. Ihrer Verbreitung muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – juristisch und auf dem Wege der Aufklärung – Einhalt geboten werden. Eine Plattform zur Selbstdarstellung darf ihm und seinen Anhängern nicht geboten werden."