Klarer Fall von Selbstüberschätzung: Ein Heilpraktiker behauptet gegenüber einem Gynäkologie-Professor, mittels alternativer Verfahren Krebs diagnostizieren zu können. Eine auf die Behauptung folgende Studie wurde mit einem Wissenschaftspreis ausgezeichnet.
Prof. Dr. med. Karsten Münstedt ist stellvertretender Direktor des Frauenklinikums der Universität Gießen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Erforschung konventioneller und unkonventioneller Behandlungsmethoden von Krebserkrankungen. So passte der geworfene Fehdehandschuh genau in sein Spezialgebiet: Ein Heilpraktiker war sich der Qualität und Aussagekraft der von ihm bevorzugten alternativen Diagnoseverfahren so sicher, dass er gegenüber dem Professor die Behauptung aufstellte, er könne mittels „Irisdiagnostik“ und „Dunkelfeldmikroskopie nach Enderlein“ genauso exakte Diagnosen über gynäkologische Krebsformen stellen wie der Mediziner mittels radiologischer Untersuchung.
Hohe Akzeptanz in der Bevölkerung
Die beiden komplementärmedizinischen Verfahren werden häufig von Heilpraktikern zur Diagnose von Krebs und zu dessen Vorbeugung eingesetzt. In der Bevölkerung haben solche Methoden eine recht hohe Akzeptanz, da sie immer wieder als ernstzunehmende Alternative zur schulmedizinischen Diagnostik angepriesen werden und eine Diagnose ohne belastenden Eingriff möglich erscheint. Auch der weit verbreitete Wunsch der Patienten, als Ganzes wahrgenommen und nicht nur auf eine Krankheit reduziert zu werden, hat einen großen Einfluss auf die Popularität dieser Methoden.
Im Fokus: „Auffällige Zeichen“ und „Urkeime“
Grundlage der Irisdiagnostik (oder Iridologie) ist die Ansicht, dass das Auge der Spiegel des Körpers sei. Dazu wird die Iris mit einem Irismikroskop auf auffällige Zeichen abgesucht, die in bestimmten Regionen auf eine Krebserkrankung hinweisen sollen. Die Theorie der Irisdiagnostik geht bis auf das 17. Jhdt zurück; eine Verbreitung erfuhr das Verfahren 1881 nach einer Veröffentlichung des ungarischen Arztes Ignatz von Peczely. Ausgangspunkt der Dunkelfeldmikroskopie nach Enderlein ist der Pleomorphismus. Ein Urkeim pflanzlichen Ursprungs soll demnach im Körper vorhanden sein, der sich bei Störung des körperlichen Gleichgewichts durch eine Erkrankung verändert und schließlich zu Pilzen und Bakterien entwickelt. Zur Diagnostik wird ein Tropfen Blut aus der Fingerbeere entnommen und unter dem Dunkelfeldmikroskop mit Dunkelfeldkondensor analysiert. Hiermit sollen sich Krankheitstendenzen früh erkennen lassen. Etwa 400 bis 500 Heilpraktiker – und auch Ärzte – wenden diese Methode in Deutschland an.
Zurück auf den Boden der Tatsachen
Als sein Doktorvater machte Prof. Münstedt dem jungen Arzt Samer El-Safadi den Vorschlag, die Zuverlässigkeit der alternativen Diagnoseverfahren in seiner Dissertation mit validen Zahlen zu belegen – und so führte El Safadi dem von seinen Diagnoseverfahren so überzeugten Heilpraktiker im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie 110 Probanden zu (davon 68 mit zum Teil mehreren klinisch nachgewiesenen Karzinomen und 42 gesunde Vergleichsprobanden), um sie mittels Irisdiagnostik bzw. Dunkelfeldmikroskopie untersuchen zu lassen. Das ernüchternde Ergebnis: Mittels der komplementärmedizinischen Diagnoseverfahren konnte nur in drei Fällen die korrekte Diagnose gestellt werden. Andererseits wurde die Diagnose „aktiver Krebs“ bei 30 Personen gestellt, ohne dass sich klinisch und apparativ Hinweise dafür fanden. In einer realen Situation wären die Betroffenen mit unnötigen Ängsten und Verunsicherung konfrontiert worden. Möglicherweise wären auch therapeutische Maßnahmen eingeleitet worden, die abgesehen von dem fraglichen Nutzen eine finanzielle Belastung bedeutet hätten. Dr. Samer El-Safadi wurde kürzlich bei der 180. Tagung der Mittelrheinischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Kassel mit einem Wissenschaftspreis für seine Untersuchung der alternativen Diagnoseverfahren ausgezeichnet.