Nur wenige andere Erkrankungen bringen so viele Patienten dazu, sich im Reich der Alternativmedizin umzusehen wie der Krebs. Von der Mistel über die Vitaminpille bis zum Geistheiler wird so gut wie alles angeboten. Belegt ist davon kaum etwas, und dennoch: Ernst nehmen sollte der Arzt das Thema schon.
Alternativmedizin bei Krebs: Die Schulmedizin fasst dieses Thema bisher nur mit spitzen Fingern an. Obwohl jeder weiß, dass sich sehr viele, möglicherweise sogar die Mehrheit der Krebspatienten auch im alternativmedizinischen Therapiespektrum umsieht, gibt es wenige harte Zahlen, die das auch wirklich belegen. Für Europa hat sich der Präsident der bei der Schweizerischen Krebsliga angesiedelten Studiengruppe für Komplementäre Methoden bei Krebs, Dr. Walter Felix Jungi, kürzlich einmal an einer Bestandsaufnahme versucht. Das Resultat ernüchterte: „Von 32 Krebsligen in Europa setzen sich nur vier mit der Komplementärmedizin aktiv auseinander, und nur zwei haben Richtlinien entwickelt, wie mit Komplementärmedizin in der Versorgung umzugehen ist“, so Jungi.
Auf Platz eins der Top Ten: Die Mistel.
Er schätzt, dass zwischen 14 und 78 Prozent aller Krebspatienten im deutschsprachigen Raum alternative Therapiemethoden zumindest ausprobieren. Zahlen, die auch Dr. Gabriele Dennert von der AG Biologische Krebstherapie am Klinikum Nord in Nürnberg bestätigt: „In Deutschland gibt es etwa 13 größere Befragungen dazu, und die Ergebnisse liegen zwischen 20 und nahe 100 Prozent.“ Über alle Krebserkrankungen hinweg sei wohl etwa jeder dritte Krebspatient an alternativen Heilmethoden interessiert, so die Expertin. Welche Methoden dabei bevorzugt zum Einsatz kommen, hängt stark vom Kulturkreis ab. „Wir können davon ausgehen, dass es in Deutschland mehrere hundert Methoden sind“, sagt Dr. Birgit Hiller vom Heidelberger Krebsinformationsdienst (KID). Dort wurden im vergangenen Jahr 2334 E-Mail-Anfragen ausgewertet. Bei etwa jeder zehnten Anfrage war die Alternativmedizin ein Thema. Wenig verwunderlich: Vor allem Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium sind für alternative Methoden anfällig. Spitzenreiter in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern mit germanischem oder keltischem Hintergrund, ist die Misteltherapie: 16% der Anfragen an den KID zur Alternativmedizin bezogen sich im Jahr 2007 darauf. Fast genauso viele, jeder siebte, fragte nach Nahrungsergänzungsmitteln. Jeder achte interessierte sich für energetische Verfahren. Dazu kamen massenhaft andere Methoden, die jeweils nur in einigen wenigen E-Mails erwähnt wurden.
Frage nach Alternativmethoden drückt Vertrauen aus.
Wie sollten Ärzte damit umgehen, wenn sie von ihren Patienten nach alternativen Heilverfahren gefragt werden? Das Thema, ganz der Schulmediziner, offensiv als Scharlatanerie abzutun, ist jedenfalls außerhalb des Kollegenkreises keine Lösung – auch weil damit ein möglicherweise gutes Verhältnis zum Patienten aufs Spiel gesetzt wird. Dennert plädiert dafür, eine entsprechende Frage zunächst einmal als ein Kontaktangebot anzusehen, auf das unbedingt eingegangen werden sollte: „Das drückt durchaus auch Vertrauen in den behandelnden Arzt aus.“ Darüber zu sprechen bedeutet freilich nicht, dass der Arzt sich die Hoffungen in die vom Patienten angebotenen Alternativverfahren zu Eigen machen muss. Denn klar ist: Für die allermeisten Verfahren im alternativen Spektrum gibt es keine vernünftigen Studien – vor allem deswegen, weil die jeweiligen Anbieter gar nicht daran interessiert sind, welche zu machen. Und selbst dort, wo es Studien gibt, bei der Mistel vor allem, sind sie oft meilenweit entfernt von den Standards bei Arzneimittelstudien. Das ganze wird dubios damit begründet, dass es alternativen Verfahren anders als Chemotherapien um den ganzen Menschen gehe – als ob es in einer Arzneimittelstudie, die die Sterblichkeit misst, um irgendetwas anderes geht. Dennert: „Seine eigene Meinung muss niemand verstecken. Wichtig ist, dass man versucht, heraus zu bekommen, was hinter der Frage nach komplementären Methoden steckt.“
Nutzt nix, schadet nix? Stimmt leider nicht immer.
Dahinter stecken kann beispielsweise der Wunsch, mehr zur eigenen Genesung beizutragen. Dieses Bedürfnis lässt sich durch entsprechend sensible Beratung möglicherweise dahingehend unterstützen, dass der Patient dazu gebracht wird, auf körperliche Bewegung und Nichtrauchen zu achten. Gerade der Nutzen körperlicher Bewegung ist in der Krebstherapie jedenfalls besser belegt als der von diversen gängigen Alternativverfahren. Auch Angst kann Patienten zu dubiosen Methoden treiben. Wer das weiß, kann dazu beitragen, den Patienten die Angst zu nehmen – oder sie in einer sinnvollen Angstbewältigung zu unterstützen. Eine eher schulterzuckende Herangehensweise an das Thema nach dem Motto „nutzt zwar nicht, schadet aber auch nicht“, hält Dennert nicht für optimal. „Zumindest einige Phytopharmaka können schon zu relevanten Wechselwirkungen mit einer Chemotherapie führen. Das sollte der Arzt zumindest überprüfen.“ Schaden kann Alternativmedizin auch indirekt: Sie kann dazu verführen, die wichtige Auseinandersetzung mit Tod und Sterben nicht zu führen. Und sie kann den Patienten auch einfach dadurch Schaden zufügen, dass er eine Menge Geld umsonst ausgibt. Denn klar ist: Mit alternativen Therapiemethoden bei Krebs wird Geld verdient. Viel Geld.