Bei Trichotillomanie haben Betroffene den Impuls, sich Haare auszureißen, oft so ausgeprägt, dass sie kahle Stellen am Kopf haben. Über erfolgreiche Behandlungen ist wenig bekannt. Eine Studie zeigt: Wirksam sind Psychotherapie, Neuroleptika und der Hustenlöser N-Acetylcystein.
Für Außenstehende ist die Störung oft schwer verständlich: Die Betroffenen reißen sich die Kopfhaare einzeln oder büschelweise aus. Auch Augenbrauen, Wimpern oder Körperhaare können betroffen sein. Anschließend werden die Haare und die Haarwurzel genau untersucht, die Haare zum Mund geführt oder sogar verschluckt. Die Trichotillomanie (von griechisch „trix“: Haar, „tillein“: rupfen und „mania“: Wahnsinn) zählt laut der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) zu den Störungen der Impulskontrolle. Laut der amerikanischen gemeinnützigen Organisation „The TLC Foundation for body-focused repetetive behaviors“ sind etwa zwei bis vier Prozent der Bevölkerung im Lauf ihres Lebens von Trichotillomanie betroffen. Genaue Zahlen zur Prävalenz sind allerdings nicht bekannt. Sie dürften niedriger liegen. Im Schnitt tritt das Haareausreißen erstmals im Alter von 11 bis 13 Jahren auf, es kann jedoch in jedem Alter beginnen. Vor der Pubertät sind Jungen und Mädchen gleich häufig betroffen, während im Erwachsenenalter deutlich mehr Frauen als Männer unter „Trich“, so die gängige Abkürzung unter Betroffenen, leiden. Viele Betroffene berichten, sich des Haareausreißens gar nicht bewusst zu sein. Etwa ein Drittel gibt jedoch an, einen intensiven Drang zum Auszupfen der Haare zu spüren. Der Handlung gehen dabei meist unterschiedliche Gefühle voraus: Angst, Frustration, niedergeschlagene Stimmung, Anspannung oder ein Gefühl von Langeweile oder Leere. Das Zupfen an den Haaren wird dann eingesetzt, um Gefühle zu regulieren und soll, je nach Situation, Entspannung oder Anregung herbeiführen. Dabei kann die Störung sehr unterschiedlich ausgeprägt sein: vom gelegentlichen Auszupfen einzelner Haare bis zum ständigen Rupfen oder dem Ausreißen ganzer Haarbüschel, was dann meist zu kahlen Stellen auf der Kopfhaut führt. Von einer psychischen Störung spricht man, wenn jemand stark unter dem Haareausreißen leidet oder dadurch deutlich in seinem Alltag und seinen sozialen Kontakten eingeschränkt ist. So kommt es häufig vor, dass die Betroffenen aus Scham nicht über ihre Probleme sprechen und versuchen, die kahlen Stellen vor anderen zu verbergen.
In vielen Fällen liegen neben der Trichotillomanie weitere psychische Erkrankungen vor. So ergab eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, dass 39 Prozent der Erwachsenen mit Trichotillomanie aktuell eine weitere psychiatrische Diagnose haben. Am häufigsten waren dabei Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen und andere auf den Körper bezogene Verhaltensstörungen. Das ständige Ausreißen der Haare kann nicht nur psychische, sondern auch körperliche Folgen haben: So können Juckreiz (Pruritus), Schädigungen der Haut und Entzündungen auftreten. Einige Betroffene verschlucken ihre Haare (Trichophagie), was in seltenen Fällen zur Bildung eines Haarknäuels (Trichobezoar) im Magen-Darm-Trakt führt. Dieser kann zu wiederkehrenden Oberbauchschmerzen und in schweren Fällen zum Darmverschluss führen und muss operativ entfernt werden.
Zur Behandlung der Trichotillomanie werden zur Zeit Antidepressiva, meist aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), aber auch ältere trizyklische Antidepressiva, atypische Neuroleptika sowie der Hustenlöser N-Acetylcystein eingesetzt. N-Acetylcystein beeinflusst die Regulierung des Botenstoffs Glutamat im Gehirn und könnte auf diese Weise die Kontrolle von Impulsen verbessern. Bei den psychologischen Behandlungsansätzen kommt am häufigsten das Habit Reversal Training (HRT) zum Einsatz. Hierbei soll das problematische Verhalten, also das Haareausreißen, nach und nach durch alternative, günstigere Verhaltensweisen ersetzt werden. Zudem werden Patienten mit Trichotillomanie auch mit anderen Psychotherapieverfahren wie der kognitiven Verhaltenstherapie oder der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) behandelt. Allerdings ist bislang wenig bekannt, welche Behandlungsansätze bei Trichotillomanie am wirksamsten sind. Nun hat eine neue Studie die Ergebnisse der bisherigen Forschungsliteratur in einer Meta-Analyse zusammengefasst. Die Autoren um Reneta Slikboer von der Swinburne University in Hawthorn (Australien) untersuchten die Wirksamkeit von psychologischen und pharmakologischen Maßnahmen bei Erwachsenen mit der Diagnose „Trichotillomanie“. Bei ihrer systematischen Literatursuche fanden sie insgesamt 462 Studien zum Thema, von denen zwölf die Qualitätskriterien für eine quantitative Zusammenfassung und neun die Kriterien für eine Meta-Analyse erfüllten.
Insgesamt deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass eine Psychotherapie bei Trichotillomanie wirksamer ist als eine medikamentöse Behandlung. Eine der Studien in der Meta-Analyse kommt dabei zum Ergebnis, dass eine Kombinationsbehandlung aus Psychotherapie und Medikamenten effektiver ist als eine der beiden Behandlungsformen allein. Weiterhin erwies sich das SSRI Fluoxetin, das häufig bei Depressionen und Zwangsstörungen eingesetzt wird, bei der Verminderung der Trichotillomanie-Symptome als nicht wirksam. Erfolgversprechend waren dagegen das trizyklische Antidepressivum Clomipramin und das Neuroleptikum Olanzapin sowie der Hustenlöser N-Acetylcystein. „Die Ergebnisse stellen die derzeitige Favorisierung von Fluoxetin durch Ärzte und Forscher in Frage“, schreiben Slikboer und ihr Team. „Dies steht in deutlichem Kontrast zu dem Ergebnis, dass Fluoxetin nicht effektiver wirkt als ein Placebo.“ Clomipramin, Olanzapin und N-Acetylcystein könnten dagegen für die Behandlung der Trichotillomanie von Nutzen sein, so die Autoren. Allerdings sollte ihre Wirksamkeit und ihre physiologischen Wirkmechanismen in zukünftigen Studien noch genauer untersucht werden. Bei den Psychotherapie-Verfahren erwies sich eine Verhaltenstherapie – im Vergleich zu einer passiven Kontrollgruppe – als wirksam. Dies entspricht auch dem Ergebnis einer anderen aktuellen Untersuchung: Hier führten sowohl eine Verhaltenstherapie als auch eine kognitiven Therapie zum deutlichen Rückgang der Trichotillomanie-Symptome. Dabei gingen die Schwere der Symptome, der Drang zum Haareausreißen und die negativen Einstellungen zur Erkrankung zum Ende der Therapie deutlich zurück.
Allerdings erwies sich eine Verhaltenstherapie in der Meta-Analyse von Slikboer als genauso wirksam wie eine aktive Kontrollbedingung, in der eine unterstützende Psychotherapie oder ein Entspannungsverfahren – die progressive Muskelrelaxation (PMR) – eingesetzt wurde. Es könnte sein, dass neben der Verhaltenstherapie auch eine unterstützende Psychotherapie und die progressive Muskelrelaxation Aspekte enthalten, die bei Trichotillomanie erfolgversprechend seien, so die Forscher. „Eine supportative Gruppenpsychotherapie bietet viel soziale Unterstützung, die dazu beitragen kann, die Scham, das geringe Selbstwertgefühl und die Ängste vor Zurückweisung zu bewältigen“, schreiben die Autoren. „Und die progressive Muskelrelaxation kann Ängste und Stress reduzieren, welche das Ausreißen der Haare auslösen können.“ Daher sollte in Zukunft in weiteren Studien analysiert werden, welche spezifischen Maßnahmen in einer Psychotherapie bei Trichotillomanie wirksam sind.
Wie der unwiderstehliche Drang, sich die Haare auszureißen, entsteht, ist bisher nur in Ansätzen bekannt. Studien deuten darauf hin, dass eine gewisse genetische Prädisposition besteht. Dazu kommen meist auslösende Faktoren wie traumatische oder belastende Ereignisse oder lang anhaltender Stress. Weiterhin kann auch das Temperament der Betroffenen eine Rolle spielen. So legt eine aktuelle Studie nahe, dass eine geringe psychologische Flexibilität, bei der aktuelle gedankliche und emotionale Zustände verdrängt werden, zur Enstehung der Trichotillomanie beitragen kann.