Wer sich auf Ergebnisse veröffentlichter Studien verlässt, kennt nur die halbe Wahrheit. Ein Viertel der Studien von bereits zugelassenen Medikamenten ist auch nach fünf Jahren nicht publiziert. Berichtete Ergebnisse weisen verdächtige Diskrepanzen zum Original auf.
Wird in den USA die Zulassung eines Medikaments begehrt, erfordert dies die Beantragung bei der Food and Drug Administration (FDA) durch so genannte New Drug Applications (NDAs). Diese enthalten u.a. entsprechende Wirksamkeitsstudien. Ein Viertel der darin enthaltenen Studien bekommt jedoch kein Mediziner je zu Gesicht, ergab eine Untersuchung von Wissenschaftlern um Lisa Bero der Universität von Kalifornien in San Francisco (PLoS Medicine 2008; 5: e217; doi 10.1371/journal.pmed.0050217). Offenbar sind deren Ergebnisse häufig nicht gut genug, um veröffentlichungswürdig zu sein. In renommierten Fachjournalen veröffentlichte Studienergebnisse sind dafür verändert und geschönt.
Glaube keiner Studie…
Die Forscher hatten den Publikationsstatus von insgesamt 164 Wirksamkeitsstudien, die Inhalt von 33 freigegebenen NDAs waren, untersucht. Nur 78 Prozent dieser Studien waren innerhalb von fünf Jahren nach Einreichung bei der FDA publiziert worden. Der Vergleich von Studienergebnissen, statistischer Signifikanz und Schlussfolgerungen der Publikationen mit den Originalstudien der NDAs ergab allerdings interessante Diskrepanzen. Von 43 in den NDAs berichteten primären Endpunkten, die keinen signifikanten Nutzen einer Arznei nachweisen konnten, fand sich nur knapp die Hälfte in Veröffentlichungen wieder. Von den verbleibenden 23 Endpunkten unterschied sich bei fünf die statistische Signifikanz von NDA und Veröffentlichung mit positiverer Darstellung des Medikaments in der Veröffentlichung. Neun von 99 Schlussfolgerungen klangen in veröffentlichten Studien anders und irgendwie schöner als im Original.
…die du nicht selbst gefälscht hast
Publikationsbias, so das wissenschaftliche Wort für einen eigentlich nichtwissenschaftlichen Sachverhalt, und selektive Berichterstattung bedeuten, dass auf die zugängliche Fachliteratur kein Verlass ist, da sie häufig unvollständig und fehlerhaft ist. Unterschlagung von Studien und eine selektive Veröffentlichung von Ergebnissen wurden bereits bei vielen Wirkstoffen bemängelt und z.B. unlängst für die Antidepressiva Prozac und Paxil aufgedeckt (NEJM 2008; 358: 252-260). Der Sachverhalt ist ähnlich: Ein Drittel von 74 FDA-registrierten Studien zum Erlangen der Zulassung wurde nicht veröffentlicht. Die Veröffentlichung richtete sich dabei offenbar nach dem Ergebnis. In den Publikationen hatten 60 Prozent der Patienten mit antidepressiver Therapie eine Verbesserung der Symptome erfahren, während dies nur 40 Prozent der Studienteilnehmer mit Plazebobehandlung waren. Unter Berücksichtigung der weniger positiven nicht veröffentlichten Studien indes sank der Nutzen der Antidepressiva.
Rosarote Brille auf Verordnung?
Kein Wunder: Bereits frühere Metaanalysen mit veröffentlichten Studien zu Antidepressiva belegten keinen großen Nutzen. Eine realistischere Darstellung von Ergebnissen gelang Irving Kirsch der Universität Hull in England. Der Forscher bezog auch nicht veröffentlichte Zulassungsdaten der FDA von vier Antidepressiva in eine Metaanalyse ein (PLoS Med 2008; 5: e45). Dies waren die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Fluoxetin und Paroxetin und die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin. Die Analyse von 35 zugrunde gelegten klinischen Studien mit über 5.000 Patienten ergab, dass eine sechswöchige Therapie nur wenig wirksamer als eine Plazebobehandlung war. Die beste Wirkung wurde bei Patienten mit schwerer Depression erzielt, weshalb die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vor dem Verzicht auf diese Medikamente warnte.
Forderung: Mehr Transparenz
Wie sollen sich angesichts dieser Praktiken selbst die fortbildungswilligsten Ärzte ein realistisches Bild über Arzneimittel machen und Patienten mit dem wirksamsten Mittel behandeln? Wer kauft ein Produkt, geschweige denn ein Medikament, dessen Nützlichkeit am Ende gar nicht belegt ist? Mehr Transparenz fordert deshalb nicht nur der Editorialist An-Wen Chan der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, in derselben Ausgabe der Zeitschrift. Der nicht gerechtfertigte Einsatz von Medikamenten verursache unnötige Kosten. Nachzudenken wäre vielleicht auch einmal über das Thema Verantwortung - gegenüber Ärzten, Patienten und Studienteilnehmern.