Ein Hallenser Biotech-Unternehmen hat einen RNA-basierten Wirkstoff in Entwicklung, der rheumatische Arthritis, Psoriasis oder Morbus Crohn bekämpfen soll. Neuartige Transportvehikel auf Liposombasis bringen ihn direkt in die krankeitsauslösenden Zellen.
Krankmachende Gene punktgenau auszuschalten, war der Traum vieler Forscher. Vor zehn Jahren gelang es Andrew Fire und Craig Mello zum ersten Mal, mit Hilfe kleiner RNA-Moleküle effektiv einzelne Gene stillzulegen, wofür ihnen 2006 der Medizin-Nobelpreis zuerkannt wurde. Doch eine breite therapeutische Anwendung der RNA-Moleküle beim Menschen scheiterte bislang daran, sie in ausreichender Menge dorthin zu transportieren, wo sie mit ihren Zielgenen in Wechselwirkung hätten treten können. Mehrere Probleme tauchen dabei auf: Zum einen werden RNA-Stränge im Blut schnell von Enzymen abgebaut und zum anderen nehmen Zellen sie nicht ohne weiteres auf.
Phospholipide bilden Schutzhülle
Deshalb hatten Wissenschaftler schon bald die Idee, sie mit einer Schutzhülle zu versehen, die zugleich als Shuttle dient, um die RNA sicher in Zellen zu befördern. Eine Möglichkeit, die auch die Forscher des in Halle ansässigen Biotech-Unternehmens Novosom verfolgen, ist der Einschluss der RNA in Liposomen – kleinen Bläschen, aufgebaut aus fettähnlichen Hüllmolekülen. Nach Ansicht von Rolf Schubert, Professor für Pharmazeutische Technologie an der Universität Freiburg, sind Liposomen eine besonders geeignete Verpackung für RNA-Moleküle: „Liposomen bieten der RNA nicht nur einen Schutz, sondern sind selbst in der Regel sehr gut bioverträglich.“ Bislang kamen als Container für RNA-Moleküle meist kationische Liposomen zum Einsatz. Sie bestehen aus Lipiden, deren hydrophiler Kopf eine positive Ladung trägt. Das hat den Vorteil, dass die Lipide mit den negativ geladenen RNA-Molekülen starke Bindungen eingehen und so genannte Lipoplexe bilden.
Positiv geladene Liposomen binden Blutbestandteile
Diese kationische Partikel haben jedoch auch Nachteile, so Novosom-Geschäftsführer Steffen Panzner: „Sie lagern sich an negativ geladenen Blutbestandteilen wie Albumin an und reichern sich im schlimmsten Fall in den feinen Kapillaren der Lunge an.“ Bekomme man das Problem in Griff und die Partikel erreichten das gewünschte Ziel, komme ein weiteres Manko zum Tragen. Ein Teil der RNA-Moleküle befindet sich auf der Partikeloberfläche. Panzner: „Beim Eindringen in die Zelle werden bestimmte Sequenzen der so präsentierten RNA von speziellen Rezeptoren erkannt, die dann Alarm schlagen und das Immunsystem auf die fremde RNA aufmerksam machen.“ Panzner und seine Forscher fanden jedoch einen eleganten Ausweg aus diesem Dilemma. Sie entwickelten amphotere Liposomen, die je nach pH-Wert entweder überwiegend positiv oder negativ geladen sein können. Den neuartigen Liposomen gaben sie den Namen Smarticles. „Bei einem pH-Wert von 4 sind unsere Smarticles kationisch und wir können sie effizient beladen“, sagt Panzner. „Dann erhöhen wir den pH-Wert auf 7, so dass die Außenseite des Liposoms anionisch wird und die dort gebundene RNA abfällt.“ Nach einer Injektion in die Blutbahn würden die blanken Liposomen im Körper vor allem Zellen in Leber, Milz, Entzündungsherden und Tumoren erreichen.
Liposomen durchdringen löchrige Blutgefäße
Warum das so ist, erklärt Panzner folgendermaßen: „In diesen Geweben ist das Endothel ihrer Blutgefäße löchrig und somit für Liposomen durchlässig.“ In die dichte Endothelschicht anderer Organe können Liposomen dagegen kaum eindringen. Bei Mäusen konnten die Wissenschaftler aus Halle schon zeigen, dass beladene Smarticles, je nachdem aus welchen Lipiden sie aufgebaut sind, sich spezifisch in Leber, Tumoren oder Entzündungsherden anreichern. Dort werden sie von den Zellen via Endozytose einverleibt und können im Zytosol ihr Transportgut entladen.
Vor kurzem hat Novosom vom kalifonischen Pharmaunternehmen Isis Pharmaceuticals die Lizenz für eine antisense-RNA erworben. Mit deren Hilfe kann das CD-40-Gen ausgeschaltet werden kann. Dieses Gen trägt die Bauanleitung für das CD-40-Protein, welches das körpereigene Immunsystem aktiviert und beim Ausbruch von Autoimmunkrankheiten wie rheumatischer Arthritis oder Morbus Crohn eine Rolle spielen könnte. CD-40 bestätigt am Anfang der Immunkaskade das Erkennen von Antigenen durch T-Zellen. Wird die Funktion von CD-40 unterbunden, kommt die gesamte Immunkaskade zum Erliegen. „Antigenpräsentierende Zellen wie Makrophagen oder dendritische Zellen nehmen Liposomen sehr gut auf“, sagt Panzner.
Bepackte Smarticles lindern Autoimmunkrankheiten bei Mäusen
Im Tierversuch konnten die Forscher zeigen, dass die Behandlung mit Smarticles, die mit gegen CD-40 gerichteter antisense-RNA beladen waren, die Symptome von rheumatischer Arthritis oder Morbus Crohn linderte. Laut Firmenangaben zeigte der neue Ansatz sogar eine höhere Wirksamkeit als der monoklonale Antikörper Infliximab der seit 2006 bei Patienten mit rheumatischer Arthritis, Psoriasis oder Morbus Crohn eingesetzt wird, die auf die Standardtherapie nicht mehr ansprechen. Im Gegensatz zu klassischen Immunsuppressiva, so Panzner, unterdrücke der CD-40-antisense-Inhibitor auch die körpereigene Abwehr nicht auf breiter Ebene und habe deshalb eine viel geringere zelltoxische Wirkung. Im kommenden Jahr soll die Zulassung für klinische Studien beantragt werden. Panzner kann sich vorstellen, dass der neue Wirkstoff dann bei entzündlichen Krankheiten wie Arthritis oder Schuppenflechte getestet werden könnte. Externe Liposomenforscher beurteilen die Smarticles-Technologie positiv: „Mit den Smarticles wurde ein sehr interessantes Konzept auf die Beine gestellt“, sagt Schubert. „Falls es seine Wirksamkeit bei Autoimmunkrankheiten beweist, wäre das ein großer Schritt vorwärts."