Atemnot, Schleimhautreizung, grippeähnliche Symptome – immer häufiger berichten Piloten und Flugbegleiter von gesundheitlichen Schäden nach Rauch- oder Geruchsentwicklungen an Bord. Hinweise für die Existenz eines aerotoxischen Syndroms? Die Spurensuche hat begonnen.
Momentan häufen sich Medienberichte über das aerotoxische Syndrom. „Crewmitglieder durch Fume Event auf Lufthansa Airbus A320 verletzt“lautet eine Überschrift oder „Serie von Fume Events bei Germanwings“ oder „Flugbegleiter demonstrieren für giftfreie Kabinenluft“: Aber handelt es sich tatsächlich um ein neues Krankheitsbild? DocCheck sprach darüber mit Professor Dr. Hans Drexler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM). .
Den Trend, sich intensiv mit Fume Events (Ereignisse mit Rauchentwicklung), Smell Events (Ereignisse mit Geruchsentwicklung) und gesundheitlichen Folgen zu befassen, sieht Drexler vor allem in der steigenden Sorge des fliegenden Personals, durch ihre Arbeit körperliche Schäden zu erleiden. Hans Drexler © Uni Erlangen Aus wissenschaftlicher Sicht sei das Syndrom in seiner Existenz nicht gesichert. Konkrete Zahlen zu den Ereignissen konnte Dr. Thomas Harendza von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (Abstract V297) dennoch liefern. So kam es zwischen 2014 und 2016 zu 523 Meldungen über Fume Events. 406 Mal traten auffällige Gerüche auf, 63 Mal kam es zu gesundheitlichen Problemen, 50 Mal zu Rauchentwicklungen und vier Mal zu einem Brand. „Während die Gesamtzahl an gemeldeten Fume Events steigt, nimmt die Zahl der untersuchungspflichtigen Ereignisse ab“, so Harendza, „56 Prozent der Crews suchen nach einem Fume Event einen Arzt auf; zunehmend auch Spezialsprechstunden.“
Betroffene leiden an Schleimhautreizungen, Atemnot, Herzrhythmusstörungen, Schmerzen oder Bauchkrämpfen, Muskelschwäche, grippeähnlichen Symptomen, Gleichgewichtsstörungen, Kribbeln und Taubheitsgefühlen. „Für mich sind das unspezifische Beschwerden, die sich keinem Organsystem zuordnen lassen“, erklärt Drexler. Weitere aktuelle Zahlen dazu kommen von Nina Glaser (Abstract V300), Forscherin am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Fachgruppe Vergiftungs- und Produktdokumentation. Bis Ende 2015 wurden ihrem Institut 984 Fälle gemeldet, bei denen der Verdacht einer Exposition mit gesundheitsschädlichen Substanzen durch Fume Events bestand. In allen Fällen waren Piloten oder Crewmitglieder betroffen – Berichte von Passagieren liegen dem BfR nicht vor. Die Beurteilung erfolgte anhand des „Poisoning Severity Score“. In den meisten Fällen lag ein leichter Schweregrad vor, rund ein Drittel der Patienten hatte keine Symptome.
Aufbau eines Strahltriebwerks. Möglicherweise kontaminierte Zapfluft wird abgezweigt, bevor der Luftstrom in die Brennkammern eintritt. © Wikipedia Doch woher kommen mögliche Beschwerden? Um sich der Thematik zu nähern, sei es laut Drexler erforderlich, Assoziationen zu beschreiben. Populärwissenschaftliche Quellen nennen in erster Linie Verunreinigungen der Zapfluft durch Ölpartikel. Nahezu alle Verkehrsflugzeuge beziehen ihre Frischluft aus dem Verdichter ihrer Triebwerke. Dabei – so die Theorie – gelangen pyrolysierte Ölpartikel ins System. Gesundheitliche Schäden sollen vor allem auf Organophosphate wie Trikresylphosphate zurückzuführen sein. „Mit den Daten, die wir bislang haben, lässt sich der Zusammenhang aber nicht belegen“, sagt der Experte. Erschwerend komme hinzu, dass Fume Events selten auftreten, es gibt rund zwei bis drei Ereignisse pro 1.000 Flüge. Er warnt davor, tragische Einzelfälle wie den Tod des Piloten Richard M. Westgate zu verallgemeinern. Forscher hatten bei ihm postmortal unter anderem Schädigungen des Herzmuskelgewebes und degenerative Prozesse bei Neuronen diagnostiziert. „Aus den veröffentlichten Daten lässt sich kein kausaler Zusammenhang zu Chemikalien herstellen“, sagt Drexler.
Zu einem ähnlichen Fazit kommt Dr. Christian Felten, Leiter der Abteilung für Gesundheitsschutz bei der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft. Er nahm Veröffentlichungen der letzten fünf Jahre kritisch unter die Lupe (Abstract V135). „Den Ergebnissen der Analyse zufolge ist noch keine einheitliche nachvollziehbare Reaktion auf ein einzelnes schädigendes Agens zu entnehmen“, schreibt Felten. „In keinem Fall konnte bisher ein Kausalzusammenhang von langanhaltenden Gesundheitsbeschwerden mit der Tätigkeit im Luftfahrzeug während eines Fume Events durch Zapfluft zweifelsfrei belegt werden.“ Er fordert Hersteller sowie Betreiber von Luftfahrzeugen auf, Maßnahmen zur Sicherstellung und Monitoring einer hohen Luftqualität an Bord zu treffen sowie die Maßnahmen in der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren. Auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) hat Studien zum Thema publiziert. Wissenschaftler untersuchten die Innenluft im Cockpit sowie in der Kabine auf 69 Messflügen. Dabei fanden sie nur toxikologisch irrelevante Spuren an Organophosphaten. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Luft ähnlich oder besser ist als in unserer Umgebung, sprich in Büros, Schulen, Kindergärten oder Schulen“, lautet ihr Resümee. Die Arbeit hat jedoch ein Manko: Experten nahmen ihre Proben während des regulären Betriebs, aber nicht während der Fume Events. o,o,o-Trikresylphosphat © Wikipedia Eine weitere Veröffentlichung befasst sich mit der Zusammensetzung von Pyrolyse-Abbauprodukten aus dem Motorenöl von Turbinen Bei der Pryolyse kommt es zu einer thermischen Spaltung chemischer Verbindungen, die zu einem Bindungsbruch innerhalb großer Moleküle führt. Es seien zwar neuroaktive Produkte in den Abbauprodukten vorhanden. Bei einer intakten Lungenbarriere sehen die Autoren aber keinen Grund, entsprechende Moleküle mit neurologischen Funktionsstörungen in Zusammenhang zu bringen.
Angesichts dieser Fakten rät Drexler zu einer umfassenderen Betrachtung. „Wir sollten nicht nur Chemikalien in unsere Betrachtung mit einbeziehen.“ Denkbar seien biologische, physikalische, aber auch psychologische Faktoren. „Nehmen Piloten einen Geruch wahr, reagieren sie vielleicht mit Angst und machen in der Folge Fehler. Sein Fazit: „Das aerotoxisches Syndrom könnte es geben. Wir müssen aber noch viel Arbeit investieren und systematisch nach Symptomen, Assoziationen beziehungsweise Kausalitäten suchen.“