Mutter und Kind schließen in der Schwangerschaft einen Nichtangriffspakt. Schon länger weiß man Details über die Kontrolle des mütterlichen Immunsystems. Nun zeigten Forscher, wie die Kontrolle über eine erstaunlich reife Abwehr des Föten funktioniert.
Viele Paare verzweifeln daran. Bei etwa jedem 50. von ihnen enden alle Versuche, ein Kind zu bekommen, mit einem Abort, in der Hälfte aller Fälle ohne ersichtlichen Grund. Aber auch bei einer erfolgreichen Schwangerschaft beruhen viele Komplikationen darauf, dass sich im Uterus ein Zellhaufen einnistet, der zumindest zur Hälfte aus fremdem Gewebe besteht. Nicht nur Transplanteure wissen, dass Gewebe mit fremden HLA-Antigenen oft nur mit starker Immunsuppression eine Überlebenschance im Empfänger haben.
Frühreifes fötales Immunsystem
Schon früh macht die Mutter Bekanntschaft mit den Zellen ihres Sprösslings. Embryonale Zellen in ihrem Blutkreislauf führen zu einem lang andauernden Chimärismus. Bei der engen Verbindung zwischen Mutter und dem wachsenden Fötus in ihrem Leib reagiert aber nicht nur die Mutter auf den vermeintlichen Eindringling, der sich im Körper breit macht - auch der Embryo legt sich ein eigenes Abwehrsystem gegen Fremdstoffe zu und ist bereit, sich mit eigenen Waffen dagegen zu wehren. In der Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science vom 5. Dezember beschreiben nun Forscher von der University of California in San Francisco in Zusammenarbeit mit dem Karolinska Hospital in Stockholm, was die Immunzellen des Föten am Angriff gegen seine eigene Mutter hindert.
Die Abwehr des Föten hielten viele Immunologen bis vor kurzem für "naiv" - sie lernt ja kaum fremde Antigene kennen. Die abgeschlossene Raum in der Gebärmutter ließ sich zudem nur schwer untersuchen. Bei der Labormaus ist das Immunsystem bei der Geburt noch unreif und die peripheren Lymphknoten kaum von T-Zellen besiedelt. In Proben menschlicher Lymphknoten entdeckte nun das Team um Joseph McCune, dass viel mehr mütterliche Zellen als erwartet das heranreifende Immunsystem des Säuglings prägen. Sie erzeugen dort Toleranz gegenüber dem mütterlichen Gewebe. Hatte man bisher vermutet, dass vor allem klonale Deletion die Reaktion gegen die Mutter verhindert, deckte nun das amerikanische Team einen anderen Mechanismus auf. In den peripheren Lymphknoten und der Leber des Föten finden sich schon nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel viele Lymphozyten. Regulatorische T-Zellen des Föten unterdrücken jedoch eine aggressive Reaktion. Entfernt man sie aus der Zellkultur, reagieren die Lymphozyten gegen mütterliches Gewebe. Sogar gegen das eigene Gewebe registrierten die Wissenschaftler eine Antwort auf eine entsprechende Stimulation.
Diese Angriffslust wird aber nicht nur im Mutterleib unterdrückt. Auch bei Probanden im Alter zwischen sieben und siebzehn, so ergaben die Untersuchungen der Wissenschaftler, verhindern die regulatorischen T-Zellen die Attacke gegen mütterliches Gewebe wie gegen sich selbst.
Nichtklassische Histokompatibilitäts-Antigene verleihen Schutz
Im Erwachsenen sind die Mechanismen bereits genauer untersucht, die den Angriff gegen den vermeintlichen Eindringling in der Gebärmutter verhindern. Zum Schutz vor Angriffen zytotoxischer T-Zellen fehlen auf dem embryonalen Trophoblasten die klassischen HLA-Antigene der Klassen I und II. (Stattdessen nichtklassische HLA-Moleküle der Klasse HLA-G, HLA-F und HLA-E) Dagegen findet sich dort der Fas-Ligand, der für den programmierten Selbstmord von Zellen (Apoptose) sorgt und damit vermutlich für die mütterliche Toleranz mitverantwortlich ist. Schließlich verhindern auch im Immunsystem der Mutter regulatorische T-Zellen den Angriff auf das Ungeborene. Die Kontrolle gegen unerwünschte Abstoßungsreaktionen der Mutter gegen das eigene Kind spiegelt sich also im Heranwachsenden wider.
Die Erkenntnisse von McCune und seinen Kollegen kommen auch für viele Experten überraschend. Sollten sich die Beobachtungen bestätigen, ließe sich mit einem unterdrückten Immunsystem die mangelnde Wirksamkeit frühkindlicher Impfungen bei manchen Kindern erklären. Fremdstoffe, die während der Schwangerschaft in den Kreislauf des Kindes gelangen, erzeugen dort unter Umständen eine lang andauernde Toleranz. So bemerkt Joseph McCune: "Nur fünf bis zehn Prozent aller Kinder, die von unbehandelten HIV-positiven Müttern geboren werden, sind selber infiziert. Möglicherweise spielt die immunologische Toleranz des Föten dabei eine Rolle." Für Operationen kurz nach der Geburt, wenn der Säugling ein neues Herz oder Nieren braucht, könnte die Lösung der Zukunft statt einer starken Immunsuppression in einer Präsentation der Empfängerzellen schon im Mutterleib liegen.
Warum braucht der Mensch so früh ein hoch entwickeltes Immunsystem? Vorerst erlaubt die Frage nur spekulative Antworten wie die von Jeff Mold, Erstautor des Science-Papers: "Die Umgebung des Föten ist ein sehr dynamisches System, das sich sehr schnell mit dem Wachstum ändert. Der Sinn liegt vielleicht darin, früh ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln und Toleranz für alles, was in dieser Entwicklungsphase vorkommt." Möglicherweise, so argumentiert Mold, ist die starke Abwehr im Mutterleib noch nicht notwendig, sie ermöglicht aber sofort einen effektiven Schutz, sobald das Kind Licht der Welt erblickt und sich gegen böse Keime wehren muss.