Bei der Zeugung von Kindern im Labor ist die Rate an Fehlbildungen höher als normal. Auch neue Methoden haben daran nichts geändert. Wie die Fehler im Erbgut entstehen, ist aber immer noch Gegenstand vieler Spekulationen.
Louise Brown war ein Glückskind. Nach neun Jahren vergeblicher Versuche ihrer Eltern kam das Mädchen vor 30 Jahren als erstes Produkt einer Verschmelzung von Samen und Eizelle im Labor auf die Welt - gesund. Heute ist sie selbst Mutter eines Jungen, der ohne Mikroskop und Pipette entstand. Weltweit nahezu vier Millionen mal haben sich die Hoffnungen von Paaren auf ein eigenes Kind durch eine Befruchtung außerhalb des Mutterleibs erfüllt. In jedem 20. Fall ist die Freude der Eltern jedoch getrübt, denn das Kind kommt mit einer Anomalie aus dem Bauch der Mutter. Eine kanadische Studie zeigte, dass Babys, die auf dem Labortisch entstanden sind, zu rund 60 Prozent häufiger eine Veränderung aufweisen als natürlich gezeugte Kinder.
Christine Olson von der Universität Iowa verglich vor drei Jahren 1500 Babys, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) entstanden waren, mit entsprechenden Kontrollen. 6,2 Prozent Geburtsdefekte bei IVF-Kindern standen dabei 4,4 Prozent bei Kindern per "Standardmethode" gegenüber. Eine amerikanische Analyse vom Sommer 2008 listet 25 verschiedene Fehlbildungstypen auf. Danach haben Laborbabys ein doppelt so hohes Risiko für einen Defekt in der Herzscheidewand oder eine gespaltenen Lippe. Viermal so häufig trat eine Atresie des Ösophagus oder des Darmausgangs auf.
Kaum Unterschiede zwischen IVF und ICSI
In Deutschland ist seit 2002 neben der herkömmlichen In-vitro-Fertilisation auch "ICSI" im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten, eine Variante, bei der das Spermium direkt in die Eizelle eingespritzt wird. Ob die Methoden ausreichend sicher sind, hat Hilke Bertelsmann in einem aktuellen Bericht für den gemeinsamen Bundesausschuss untersucht. In ihrer Analyse von 15 Studien zum Fehlbildungs-Risiko bei der extrakorporalen Befruchtung fand sie kaum Unterschiede im Gebrauch von "normaler " IVF und ICSI. Generell ergab sich aber auch in ihrer Untersuchung ein höheres Risiko bei der Zeugung im Labor.
Wodurch entstehen aber solche Fehlbildungen des künstlich zusammengebrachten Produkts aus Spermium und Eizelle? Nicht immer sind es Veränderungen in der Proteinstruktur, die bei den neugeborenen IVF-Babies als Anomalie ins Auge stechen, sondern auch epigenetische Defekte. Falsche Methylierung an Chromosom 11 ist beispielsweise ein Kennzeichen des Beckwith-Wiedemann-Syndroms: Normalerweise kommt unter 12.000 Kindern eines mit den charakteristischen Merkmalen von Sprachstörungen, vergrößerter Zunge und Anfälligkeit für Tumoren zur Welt. Amerikanische, französische und britische Aufzeichnungen zeigen jedoch, dass sich bereits unter 25 Kinder mit dem Krankheitsbild ein künstlich gezeugtes befindet, weit mehr als der Durchschnitt. Auch beim seltenen Angelman- und Prader-Willi-Syndrom sind wesentlich mehr IVF-Kinder als erwartet betroffen. Carmen Williams vom amerikanischen Institute for Environmental Health Sciences in North Carolina spekuliert: "Möglicherweise werden epigenetische Zeichen verändert, wenn wir den Embryo im Labor in Kultur halten. Bei Mäusen wissen wir das." Der schlüssige Beweis für eine Schädigung des Embryos im Labor fehlt jedoch bisher.
Keimzell-Qualität wichtiger als Fertilisationstechnik?
Dass die Risiken auch von ganz anderer Seite kommen können, beweist eine elegante Studie von Liv Bente Romundstad vom St. Olav's Universitätsspital im norwegischen Trondheim. Sie fand bei 8200 IVF-Kindern ein um 25 Gramm geringeres Geburtsgewicht, die Schwangerschaft dauerte zwei Tage kürzer. Die perinatale Mortalität lag um rund ein Drittel höher als bei den rund 1,2 Millionen Kontrollen. Bei 2546 Müttern jedoch, die ein Kind auf natürlichem Wege zeugten, das andere durch IVF, waren die Unterschiede weit weniger gravierend, wie sie im Lancet vom 30. August dieses Jahres schreibt. Die Differenz betrug nur 9 Gramm beziehungsweise 0,6 Tage zwischen den Geschwistern. Das Risiko für den Tod des Säuglings bei der Geburt lag bei den "Laborkindern" nur bei einem Drittel gegenüber den natürlich entstandenen. Die Autoren schließen daraus, dass "Faktoren, die zur Unfruchtbarkeit führen, eher als solche, die mit der Fertilisation zusammenhängen" für die schlechteren Chancen für IVF-Kinder verantwortlich sind. Frühere Studien zeigten bereits, dass Frauen überdurchschnittlich oft ein behindertes Kind zur Welt brachten, wenn sie erst nach vielen vergeblichen Versuchen schwanger wurden.
Neue Methoden für Produktion und Diagnose
In Deutschland ist etwa jedes 80. Baby ein "Retortenkind". Trotz der aufwändigeren Technik bei der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) sind die Risiken bei der herkömmlichen In-vitro-Fertilisation und ICSI annähernd gleich. Auch in der Erfolgsrate beider Behandlungen gleichen sich IVF und ICSI. Viele der Fehlbildungen sind bei der Geburt gut zu korrigieren. Dennoch muss es das Ziel der rund 120 deutschen Fertilitätszentren sein, die Risikofaktoren weiter zu minimieren. Neue Methoden wie die In-Vitro-Maturation haben bereits hunderte von Kindern auf die Welt gebracht. Spermienchecks wie der Hyaluronsäure-Bindungstest oder die Begutachtung des Spindelapparats bei Oozyten haben die Erfolgsrate künstlicher Befruchtungen. weiter in die Höhe getrieben. In einigen Jahren sind daher auch neue Daten zum Gesundheitsrisiko der Innovation bei der Babyproduktion zu erwarten.
Auch ohne umstrittene Präimplantations-Diagnostik ist die Quote gesunder Glückskinder wie Louise Brown so hoch, dass nur wenige Paare das Risiko eines behinderten Kindes scheuen. Einiges deutet darauf hin, dass die Gefahren nicht in der Technik, sondern im Fortpflanzungsapparat von Mann und Frau liegen.