Postmortale Organspenden reichen in Europa nicht aus, um bangem Warten ein Ende zu setzen. Ärzte und Regierungen beschäftigt das Problem gleichermaßen. Dabei taucht wiederholt die Frage auf, welches Transplantationsgesetz effektiver ist: Zustimmungs- oder Widerspruchslösung.
Weil die Zahl der postmortalen Organspender in England stark rückläufig ist, entschied sich vor Kurzem die englische Regierung, mit einer großen Aufklärungs-Kampagne einzugreifen. Ziel ist, die Zahl der Bereitwilligen zu verdoppeln. Dafür stellt das Gesundheitsministerium 3,4 Millionen Pfund zur Verfügung. Das Thema Widerspruchs- contra Zustimmungslösung war damit erst einmal vom Tisch. Zu erneuten kontroversen Diskussionen führte die nachträgliche Warnung von Premierminister Gordon Brown, dass er eine Gesetzesänderung nicht ausschließt, wenn die verabschiedete Kampagne erfolglos bleibt. Das neue Gesetz würde dann auf eine Widerspruchslösung hinauslaufen. In diesem Fall gilt jeder Erwachsene, der stirbt, automatisch als Organspender. Es sei denn, er hat seinen Widerspruch in ein offizielles Register eintragen lassen. Bei der erweiterten Variante sieht das Gesetz vor, dass Angehörige plausible Gründe, die gegen eine Spende sprechen, geltend machen können.
Beste Spenderzahlen mit Widerspruchslösung
In England gilt bisher, wie auch in Deutschland, Dänemark, Niederlande, Schweiz, Jugoslawien etc., die erweiterte Zustimmungslösung für Organspenden. Das heißt, der Spender erklärt zu Lebzeiten seine Einwilligung, beispielsweise in einem Spenderausweis. Liegt eine solche Erklärung im Todesfall nicht vor, können auch die nächsten Familienangehörigen einer Spende zustimmen, wenn sie im Sinne des Toten gewesen wäre. Da die gespendeten Organe nicht ausreichen, wird nicht nur in England nach effektiveren Wegen gesucht. Zur Disposition steht dann immer wieder die Widerspruchslösung. Ihre Protagonisten halten sie für erstrebenswert, weil in den Ländern mit den höchsten postmortalen Spenderzahlen just diese Lösung im Transplantationsgesetz steht. In Europa sind das Spanien, Belgien, Frankreich, Österreich, Italien und Tschechien. Spanien liegt mit rund 34 Organspendern pro einer Million Einwohner an der Spitze der europäischen Statistik. Vergleichsweise rangiert Deutschland mit 16 und Großbritannien mit 13 im unteren Bereich der Tabelle. Korrekterweise muss man allerdings hinzufügen, dass es in diesem Bereich genau so viele Länder mit Widerspruchslösung gibt. Die Zahlen, die DocCheck von der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) zur Verfügung gestellt wurden, stammen aus 2007.
Pro und contra der Widerspruchslösung
Ob die Widerspruchslösung tatsächlich zu mehr Organspendern führt, daran scheiden sich vielfach die Gemüter so wie in England. Ein Teil der Ärzte der British Medical Association befürworten den "presumed consent" mit Einbeziehung der Familienangehörigen. Sie vertreten die Meinung, dass sich die Zahl der Organspender auf diese Weise signifikant verbessern läßt. Ihre Begründung: Die Mehrheit der Bevölkerung will spenden, aber nur 25 Prozent lassen sich registrieren. Die UK Organ Donation Taskforce hingegen kommt in einem 400 Seiten langen Papier zu dem Schluss, dass es kaum Beweise dafür gibt, dass die vorausgesetzte Zustimmung tatsächlich die Spenderzahlen erhöht. Die bisherige Regelung müsse deswegen beibehalten werden, so die Taskforce. Die Arbeitsgruppe sammelte Beweisdaten aus der ganzen Welt. Sie fand u.a. heraus, dass das gute Abschneiden von Spanien nicht auf das Widerspruchsgesetz zurückzuführen ist. Getragen werde der Erfolg von einem parallelen Programm, dass das öffentliche Bewusstsein und das Vertrauen in die Ärzte stärkt. Dazu nutzen die Spanier auch die Unterstützung von Celebrities wie beispielsweise die Spieler des FC Sevilla, heißt es in dem Bericht.
Weniger Verkehrstote reduzieren Zahl der Spenderorgane
In Österreich gilt die Widerspruchslösung seit 1991. Sie wird übrigens auch bei tödlich verunglückten Touristen bzw. generell bei Ausländern angewendet. Die anfänglichen Erfolge waren allerdings eher ein Strohfeuer, denn in den letzten Jahren ist die Anzahl der Organspenden im Alpenland um zehn Prozent gesunken. Die Österreicher führen das insbesondere auf die abnehmende Zahl von Verkehrstoten zurück. Vielleicht könnte das auch ein Denkanstoß für die Engländer sein, denn immerhin haben sich 25 Prozent für die Organspende registrieren lassen. Auch in Deutschland reicht die Zahl postmortaler Organspender bei weitem nicht aus, um die rund 12.000 Patienten, die auf der Warteliste stehen, mit den lebensrettenden Nieren, Herzen, Lebern, Lungen und Därmen zu versorgen. Im letzten Jahr registrierte die DSO 4.251 Transplantationen ohne Lebendspende. Im gleichen Zeitraum wurden 2.074 Organe von Hirntoten in Deutschland gespendet. Die Differenz wurde durch die Stiftung Eurotransplant in den Niederlanden ausgeglichen. In dieser Organisation, die die Verteilung von Spenderorganen mit Hilfe einer Datenbank koordiniert, haben sich Belgien, Holland, Luxemburg, Deutschland, Slowenien, Kroatien und Österreich zusammengeschlossen, um Wartezeiten zu verkürzen. Trotzdem klafft eine große Lücke, wie die Zahlen belegen. Der Deutsche Ethikrat schlägt daher ein Stufenmodell vor, "das Elemente einer Erklärungsregelung mit Elementen einer Widerspruchsregelung verbindet." Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lehnt jedoch eine Gesetzesreform ab. "Ich glaube, dass der von uns gewählte Weg der erweiterten Zustimmungslösung das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen besser würdigt", so die Ministerin. Sie fordert mehr und bessere Aufklärung und Werbekampagnen, um die Anzahl der Spendebereiten zu erhöhen.
Papst pro Organtransplantation
Das Thema Organspende ist für alle – Ärzte, Spenderbereite, Angehörige - kein einfaches Thema, auch wenn laut Umfragen 80 Prozent der Menschen in Deutschland sich vorstellen können, ein Organ zu spenden. Tatsächlich besitzen nur zwölf Prozent einen Organspendeausweis. Ethische, religiöse, kulturelle aber auch rechtliche Bedenken machen die Entscheidung schwer. Berichte über den illegalen Organhandel, aber auch Zweifel an dem Hirntodkonzept verstärken das Misstrauen. Die bestehende Definition des Hirntods wird u.a. von der Kritischen Aufklärung über Organtransplantation e.V. (KAV) kritisiert. Um ihren Bedenken Nachdruck zu verleihen, setzt der Verein auch auf Hilfestellung von der Kirche. Aber die ist bisher ausgeblieben. Auch Papst Benedikt hält sich in dieser Frage bedeckt. Sein Credo in puncto Organtransplantation: "Tatsächlich gibt es eine Verantwortung der Liebe und der Barmherzigkeit, die dazu verpflichtet, das eigene Leben zu einem Geschenk für die anderen zu machen, wenn man sich wirklich selbst verwirklichen will."