Es kann überall und zu jeder Zeit passieren: ein Notfall. Panik, Angst, Hilflosigkeit. Das spüren die Betroffenen in dieser Ausnahmesituation. Doch gewisse Grundlagen kann man lernen.
15.36 Uhr. Du sitzt in der Straßenbahn. Es ist heiß und stickig. Die Fahrgäste sind munter in Gespräche vertieft. Lautes Gelächter und Geschrei ertönt aus der einen Hälfte der Bahn. Dir gegenüber sitzt eine ältere Frau. In der einen Hand hält sie einen Gehstock, mit der anderen umklammert sie ihre Handtasche. Der Herr rechts von ihr, scheinbar ihr Ehemann im gleichen Alter, atmet schwer. Sie schweigen. Ein Knall reißt dich aus deinen Gedanken. Die Gehhilfe kracht auf den Boden. Du schaust auf, die ältere Dame verdreht ihre Augen. Ihr Mann hält sie im Arm, schüttelt sie, ist sichtlich mit den Geschehnissen überfordert. Die Frau kippt noch vorne über, ist bewusstlos.
Selten kann man sich auf einen Notfall richtig vorbereiten. Meistens kommt er unverhofft und plötzlich. Wer konnte schon ahnen, dass die ältere Frau in der Straßenbahn zusammenbricht? Oder, dass in der Warteschlange im Supermarkt ein 6 jähriges Mädchen einen Krampfanfall erleidet? Dann ist Handeln gefragt. Zeit ist hier nicht direkt Geld, aber dennoch wertvoll. Viele Menschen können das nicht. Nicht unbedingt, weil sie nicht über das Wissen dazu verfügen. Nein, oftmals fehlt ihnen die Erfahrung und das Selbstbewusstsein. Nicht nur den Laien.
Aus diesem Grund haben sich Studierende der Humanmedizin an der Universität Münster zusammen gefunden und eine Arbeitsgruppe, die sich der Notfallmedizin widmet, sozusagen „reanimiert“. Das Ziel der AG Notfallmedizin wird es sein, den Studenten der Vorklinik zu vermitteln und zu zeigen, wie medizinisches Wissen auch außerhalb des Lehrsaals auf der Straße angewendet wird. Die Grundlage dafür bieten, neben der Unterstützung durch die Medizinische Fakultät und Ärzten des Universitätsklinikums Münster, die Studierenden selbst. Die Arbeitsgruppe bilden Studenten aus verschiedenen klinischen und vorklinischen Semestern. Viele durften bereits Erfahrungen im Rettungsdienst sammeln, sei es durch den Zivildienst, ein Freies Soziales Jahr oder durch eine Ausbildung vor dem Studium.
Zum kommenden Sommersemester 2009 wird es zwei Projekte geben: Einen Erste-Hilfe Kurs und ein Wahlfach der Vorklinik.
Erste Hilfe: Korrektes Handeln kann man lernen
Um zur 1. Ärztlichen Prüfung nach vier Semestern zugelassen zu werden, braucht man neben einer Anzahl von Scheinen auch den Nachweis für den Besuch eines Erste-Hilfe Kurses. Da unter den Studenten reges Interesse festzustellen ist, hat die AG Notfallmedizin anhand vorgegebener Leitlinien und Bestimmungen ein Konzept ausgearbeitet, diesen Kurs in einem Umfang von 16 Stunden durchzuführen. Das Wissen wird hier aber auf eine andere Art vermittelt. Die Lehrinhalte werden direkt auf Medizinstudierende zugeschnitten: Es dürfte wohl klar sein, dass man einem angehenden Mediziner nicht mehr unbedingt erklären muss, was ein Blutkreislauf ist und wie die Atmung funktioniert. Die so eingesparte Zeit kann man vorwiegend der Praxis widmen. Ziel dabei ist es den Teilnehmern möglichst realistische Fallbeispiele zu bieten.
Neben einer Laienschauspielergruppe, die zur Darstellung wirklichkeitsnaher Opfer eingesetzt wird, ist es ein wichtiges Anliegen auch die Situation realitätsgetreu zu gestalten. Das heißt, die Arbeitsgruppe bietet möglichst authentische Umgebungen und Unfallorte, sowie die Möglichkeit die „Helfer“ situationsspezifischen Stressfaktoren auszusetzen. Allerdings wird das Hauptaugenmerk immer auf den Basismaßnahmen, das richtige Verhalten in einer solchen Situation liegen. Die Grundkenntnisse sollen vermittelt werden.
Spezifischeres Wissen: Das Wahlfach „Akute Notfallmedizin: Erkennen - Verstehen - (Be)Handeln“
Ebenfalls zum kommenden Sommersemester 2009 bietet die Arbeitsgruppe ein Wahlfach zur Notfallmedizin in der Vorklinik an. Die Teilnahme an einem oder mehreren Wahlfächern ist ebenfalls Voraussetzung zur Zulassung zur 1. Ärztlichen Prüfung. In diesem Kurs, das mit der Medizinischen Fakultät abgestimmt wird und sich über ein ganzes Semester mit jeweils zwei Wochenstunden erstreckt, sollen nun weiterführende und ergänzende Fähigkeiten im Vergleich zum Erste-Hilfe-Kurs behandelt werden. Maßnahmen und Techniken, die in der Soforthilfe am Unfallort zunächst einmal keine Rolle spielen. Beispiele hierfür wären das Durchführen einer Intubation, das Legen eines venösen Zugangs und spezifischere Fallbeispiele und Sonderfälle. Es wird wöchentliche Kursstunden mit Anwesenheitspflicht geben, dazu eine benotete Abschlussprüfung. Die unterschiedlichen Themenkomplexe werden von den studentischen Tutoren erstellt und sollen unter Mitwirkung und Mitgestaltung der Kursteilnehmer schrittweise erarbeitet werden.
Seit einigen Wochen befindet sich die AG Notfallmedizin nun in der Planung und auch ersten Umsetzungen der Vorstellungen. Die Gruppe ist sehr stark auf das Engagement ihrer Mitglieder angewiesen. „Finanziell versuchen wir uns über die Teilnahmegebühren zu organisieren, sind aber für jegliche Unterstützung, finanzieller wie materieller Art, sehr dankbar.“, so einer der Mitinitiatoren der Gruppe, Gunther S. Joos. Den angehenden Medizinern hofft sie eine gute Grundlage für das Studium selbst und auch für das alltägliche Leben zu bieten. Denn auch trotz aller maschinellen Unterstützung und trotz aller technischen Geräte und Finessen, das was zählt, ist die direkte Arbeit am hilfebedürftigen Menschen. Und dazu möchte die AG Notfallmedizin der Medizinischen Fakultät Münster ihren Beitrag leisten.
Bei gewecktem oder bereits bestehendem Interesse, sowie für Fragen ist die AG Notfallmedizin unter folgender eMail-Adresse erreichbar: agnotfallmedizin@uni-muenster.de