Zwei neue Arbeiten zu Placebos erweitern das Wissen um die Nix-drin-Pille. Eine zeugt von der Liebe zwischen Arzt und Placebo. Die zweite postuliert genetische Grundlagen des Placeboeffekts – was möglicherweise Konsequenzen für klinische Studien hat.
Aus Sicht des Fundamentalphysiologen gehört es zu den eher deprimierenden Erkenntnissen der medizinischen Forschung, dass sich das menschliche Gehirn von Placebos täuschen lässt. Positiv betrachtet allerdings besteht daraus ein wesentlicher Teil der Faszination, die die Medizin ausübt. Wie dem auch sei, Ärzte lieben Placebos, und das sicher mit gutem Grund.
Placebo? Aber sicher!
Wie intensiv diese Liebe ist, zeigen aktuelle Daten aus den USA. Bioethiker der National Institutes of Health in Bethesda haben die Ergebnisse einer Umfrage unter 1.200 praktizierenden Internisten und Rheumatologen veröffentlicht. 679 der Ärzte antworteten, also 57 Prozent der Angeschriebenen. Und davon wiederum gab, man höre und staune, die Hälfte an, regelmäßig Placebos zu verschreiben. Interessanterweise geht immerhin jeder fünfte damit auch ganz offen um und sagt seinen Patienten, wenn sie ein Placebo bekommen. Die Mehrheit allerdings „verkauft“ die Placebos (letztlich wahrheitsgemäß) als eine Art Therapieversuch, mit dem der Verschreiber schon früher gute Erfahrungen gemacht habe. Das Spektrum eingesetzter Placebos war dabei relativ breit. Es reichte von Kochsalzlösungen über Zucker- und Vitaminpillen bis hin zu echten Medikamenten, meist niedrig dosierte Schmerzmittel aus dem OTC-Bereich. Zwei von drei Ärzten gaben an, die gezielte Verordnung von Placebos für ethisch unproblematisch zu halten.
Forscher finden ein Placebo-Gen
Fast zeitgleich mit dieser Publikation haben sich Grundlagenforscher im Journal of Neuroscience zu Wort gemeldet. Sie behaupten, ein Gen gefunden zu haben, das zumindest eine Variante des Placeboeffekts erklären könnte. Die Wissenschaftler kommen aus der Neuropsychiatrie und haben ihre Untersuchungen deswegen bei Patienten sozialer Phobie gemacht. 108 dieser Patienten wurden in einer randomisierten, kontrollierten Studie entweder mit einem neuen Medikament behandelt, das in den Serotonin-Stoffwechsel des Gehirn eingreift oder aber mit Placebo. Der Effekt der Therapie wurde dabei unter anderem per PET untersucht. Bei Patienten mit sozialer Phobie ist die Amygdala häufig überaktiv, was sich in der Bildgebung schön farbig darstellen lässt. Um sie in eine Phobie-beladene Situation zu bringen, mussten die Patienten am Anfang und am Ende der Studie vor einer Gruppe von Zuhörern eine kurze Rede halten, während die PET-Aufzeichnungen gemacht wurden. Für die anschließende Auswertung interessierte die Wissenschaftler um den Psychologen Tomas Furmark von der schwedischen Universität Uppsala in diesem Fall nur die Placebogruppe. Es zeigte sich, dass zehn von 25 Patienten, die mit Placebo therapiert wurden, über eine Abnahme der Angstproblematik berichteten. Im PET-Scan konnte das als Abnahme der Amygdala-Aktivität nachgewiesen werden.
Placebostudien ade?
So weit, so typisch. Die schwedischen Wissenschaftler haben sich daraufhin allerdings auch noch die Gene der Patienten angeschaut. Sie wollten wissen, ob es bei den für den Serotoninhaushalt im Gehirn „zuständigen“ Genen Unterschiede zwischen jenen Probanden mit ausgeprägtem Placeboeffekt und jenen ohne Placeboeffekt gab. Und in der Tat hatten acht der zehn Patienten mit ausgeprägtem Placeboeffekt eine spezifische Variante des Tryptophan Hydroxylase 2-Promotors, der in die Serotoninproduktion involviert ist. Es handelte sich um eine Variante, die auch bei gesunden Menschen bekannt ist, die im PET mit einer überaktiven Amygdala auffallen.
Nun gibt es also ein Gen, das für den Placeboeffekt zumindest mitverantwortlich sein könnte. Das ist an sich schon interessant. Es könnte aber vor allem zu Problemen bei placebokontrollierten klinischen Studien führen. „Es könnte zumindest verführerisch sein, alle Individuen zu screenen und jene mit dem nicht-responsiven Phänotyp für die Studie auszuwählen“, spekuliert Furmark. Die Intention ist klar: Wer jene Patienten aussortiert, die voraussichtlich einen ausgeprägten Placeboeffekt haben, bekommt am Ende eine im Vergleich zur Kontrollgruppe relativ größere Wirksamkeit der Verumsubstanz. Das hat ethische, vor allem aber statistische Implikationen, über die bisher vermutlich noch niemand intensiver nachgedacht hat, weil sich das Problem nicht gestellt hat. In Zukunft könnte, ja vielleicht muss das dann anders werden…