Deutsche Forscher konnten in einer prospektiven Studie zeigen, dass das Protein Fetuin-A ein Risikomarker für kardiovaskuläre Erkrankungen ist. Studienteilnehmer mit hohen Fetuin-A-Werten hatten ein dreifach erhöhtes Herzinfarkt- und ein vierfach erhöhtes Schlaganfallrisiko.
Zuverlässig das Krankheitsrisiko eines bestimmten Patienten vorauszusagen, das ist der Wunsch vieler Ärzte. Gerade bei den lebensbedrohlichen Zivilisationskrankheiten Herzinfarkt oder Schlaganfall könnte ein eindeutiger Risikotest die Betroffenen rechtzeitig vor ihrem Ausbruch warnen. Zwar weiß man von vielen Faktoren wie erhöhte Blutfette, Diabetes, Übergewicht oder Rauchen, dass sie die Wahrscheinlichkeit dieser Erkrankungen erhöhen. Jedoch gibt es immer noch zahlreiche scheinbar gesunde Menschen, bei denen keiner dieser Risikofaktoren aufzufinden ist, und die dennoch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden.
Leber produziert Fetuin-A
Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam haben zusammen mit Ärzten der Universität Tübingen Ende 2008 in der Fachzeitschrift Circulation bekannt gegeben, dass sie einen Biomarker identifizieren konnten, mit dem sich unabhängig von den etablierten Risikofaktoren das Herzinfarkt- sowie das Schlaganfallrisiko vorhersagen lässt. Es handelt sich um das Protein Fetuin-A, das in der Leber gebildet wird, von dort aus ins Blut gelangt und die Ablagerung von Kalzium ins Gewebe blockiert. Vor zwei Jahren hatte das Team aus Ärzten und Epidemiologen bereits gezeigt, dass Fetuin-A ein Risikomarker für den Typ-2-Diabetes ist. Diese Beobachtung brachte sie auf die Idee, mit Hilfe von Daten der Potsdamer EPIC-Studie die Zusammenhänge zwischen Fetuin-A-Werten und dem Auftreten weiterer Erkrankungen näher zu untersuchen.
In der epidemiologischen Kohorten-Studie EPIC (Abkürzung für European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) untersuchen die Wissenschaftler bei 27548 Erwachsenen aus Potsdam, die zwischen 1994 und 1998 rekrutiert wurden, den Einfluss von Ernährung und Lebensstil auf Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Während der durchschnittlichen Beobachtungszeit von 8,2 Jahren erlitten 227 Probanden einen Herzinfarkt und 168 einen ischämischen Schlaganfall. Bei diesen Studienteilnehmern und weiteren 2198 zufällig aus der Gesamtteilnehmerzahl gezogenen Personen maßen die Wissenschaftler den Fetuin-A-Spiegel in Blutproben, die sie den Probanden bei Eintritt in die Studie entnommen hatten – also bevor eine Erkrankung aufgetreten war. Die erkrankten Personen und die Kontrollpersonen wurden auf fünf Gruppen verteilt – abhängig davon, wie viel Fetuin-A ihr Blut enthielt.
Trotz geringer Fallzahlen starke Effekte
Personen aus der Gruppe mit den höchsten Werten (durchschnittlich 296 Mikrogramm Fetuin-A pro Milliliter Blutserum) hatten demnach ein 3,26-fach erhöhtes Herzinfarkt- und ein 3,78-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko – verglichen mit Personen aus der Gruppe mit den niedrigsten Werten an Fetuin-A (durchschnittlich 162 Mikrogramm pro Milliliter). „Die von uns beobachteten Effekte zwischen erhöhten Fetuin-A-Spiegeln im Blut und einem erhöhten Erkrankungsrisiko sind außergewöhnlich stark“, sagt DIfE-Direktor Hans-Georg Joost. „Zwar sind die Fallzahlen noch klein, doch sie reichen schon aus, um die beobachteten Effekte statistisch zu sichern.“ Allerdings sieht Joost eine wichtige, durch das Studiendesign nicht geklärte Frage: „Da wir jedem Patienten nur bei Aufnahme in die Studie eine Blutprobe entnommen konnten, wissen wir nicht, wie hoch der Fetuin-A-Wert direkt vor dem Herzinfarkt oder Schlaganfall war.“
Durch Messung weiterer Risikofaktoren wie LDL-Cholesterin, Triglyzeride, Blutzucker sowie C-reaktives Protein in den Blutproben und zusätzlichen Berechnungen konnte das Team um Joost zeigen, dass erhöhte Fetuin-A-Werte unabhängig von den anderen Faktoren auftreten. Joost ist deshalb der Ansicht, dass Fetuin-A die Risikobestimmung ergänzen könnte: „Gerade bei Herzinfarkt kennen wir viele Risikofaktoren, aber sie reichen nicht aus.“ Rund 50 Prozent der Personen, die einen Herzinfarkt erlitten, so Joost, besäßen keinen der bekannten Risikofaktoren.
Hohe Fetuin-A-Spiegel könnten Blutgefäße schädigen
Ob Fetuin-A kardiovaskuläre Krankheiten mitverursacht oder nur eines ihrer Begleitsymptome ist, das wissen die Forscher noch nicht genau. Zwar deuten die Ergebnisse an, dass der Leberstoffwechsel und dabei vor allem die Fettleber für die Entstehung dieser Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt könnten, aber welche Funktion dabei Fetuin-A ausübt, ist noch nicht bekannt. Wie die Tübinger Forscher vor Kurzem zeigen konnten, erhöht Fetuin-A , das in der Fettleber verstärkt entsteht, die Menge des Zytokins TNF-alpha, das einen inflammatorischen Effekt auf Blutgefäße hat, und hemmt Adiponektin, das schützend wirkt. Fetuin-A könnte so die Degeneration von Gefäßen fördern.
Da epidemiologische Studien jedoch vor allem dazu dienen, um Hypothesen aufzustellen und nicht unbedingt geeignet sind, diese zu belegen, fordern unabhängige Experten weitere Studien, die bestätigen, dass zwischen erhöhten Fetuin-A-Werten und dem Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen ein kausaler Zusammenhang besteht: „Die Daten sind sehr interessant“, sagt Friedrich Luft, Leiter der Abteilung für Nephrologie und Hypertensiologie an der Berliner Charité im Campus Buch, „doch bevor wir Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt dazu drängen, Fetuin-A als neuen Wunderbiomarker in der gesamten Bevölkerung messen zu lassen, sind weitere mechanistische Untersuchungen und prospektive Interventionsstudien nötig.“
Unabhängige Experten fordern Interventionsstudien
Gerade Interventionsstudien, so Georg Ertl, Direktor der Medizinischen Klinik an der Universität Würzburg, seien wichtig, um zu zeigen, ob das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko überhaupt sinkt, wenn man den Fetuin-A-Spiegel erniedrigt. DIfE-Direktor Joost dagegen glaubt, dass schon die nächsten zwei Jahre entscheiden, ob Fetuin-A als Risikomarker etabliert werden kann: „ Um die bisher gesehenen Effekte zu bestätigen, werden wir bis dahin unsere Studie über einen längeren Zeitraum mit größeren Fallzahlen ausdehnen.“ Joost setzt zudem auf ähnlich aufgebaute Studien, die derzeit in den USA und Großbritannien stattfinden: „Wenn diese Studien unseren Befund reproduzieren können, bin ich sehr optimistisch, dass wir schon bald einen Routinetest auf Fetuin-A einführen werden.“