In Zukunft können Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten möglicherweise vor massiven neuronalen Schäden bewahrt werden – neue, therapeutische Kühlsysteme sollen das Gehirn der Patienten erstmal auf Eis legen.
Der Einsatz des Notarztes beginnt mit dem Griff zum Kühlgerät. Er verabreicht dem Herzinfarkt-Patienten per Intubation eine spezielle Eismischung und das zum Gehirn fließende Blut kühlt innerhalb kürzester Zeit. In nur 15 Minuten sinkt die Temperatur des Denkorgans um fulminante vier Grad Celsius – der Patient hat gute Chancen, im Vergleich zu nichtgekühlten Pendants zu überleben, und ohne Hirnschäden zu genesen.
Noch sind Szenarien wie diese fiktiv, aber sehr nah an der Realität dran. Gleich mehrere medizinische Publikationen attestieren nämlich der Hypothermie beste Chancen, die Medizin nachhaltig zu verändern. Dass Kälte als Therapeutikum in der Neurologie ein wichtiges Instrument ist, haben Ärzte zwar schon vor 12 Jahren erkannt. Über den Einfluss der Hypothermie auf die Rekonvaleszenz nach einem zerebralen Trauma berichtete beispielsweise das New England Journal of Medicine 1997 und 2001. Und lieferte damit zwei Untersuchungen mit gegensätzlichen Aussagen. Während die erste Publikation den klaren Nutzen des Verfahrens erkannte, sprach die zweite eben diesen Effekt wieder ab.
Brain on the Rocks als Lebensretter
Heute aber scheint die Fraktion der Befürworter im klaren Vorteil zu sein, die Fakten sprechen für sich. Die Reduktion der Hirntemperatur um vier auf nur noch 33 Grad Celsius minimiert nämlich den Stoffwechsel des lebenswichtigen Organs – und damit die Nachfrage nach Sauerstoff in den ersten, kritischen Minuten nach dem Schlag- oder Herzanfall. Auch die Ischämische Kaskade, bei der bestimmte Toxine freigesetzt werden, schwächt sich deutlich ab. Wie aber lässt sich die lebensrettende Kühlung herbeiführen?
Genau hier zeichnen sich ein paar innovative Durchbrüche ab, wie das British Journal of Anaesthesia unlängst berichtete. Eine an der University of Edinburgh konzipierte Spezialmütze beispielsweise erlaubt die Kühlung des Gehirns um einen Grad Celsius pro Stunde. Zwei Nylonschichten, zwischen denen durch winzige Löcher kalte Luft strömt, führen dabei zum ersehnten Temperaturverlust auf dem Haupt der Patienten, und somit zur „Eiszeit“ im Inneren des Kopfes.
Medizintechniker im kalifornischen San Diego wiederum setzen eher auf ihr Produkt RhinoChill. Das Nasenspray befördert Perfluorcarbon in die Schleimhäute, wo die Substanz infolge einer rapiden Verdunstung Blutgefäße und nahe gelegene Arterien kühlt – und dadurch dem Gehirn „kaltes“ Blut zuführt. Immerhin 2,4 Grad Temperaturabfall lassen sich pro Stunde durch diese Methode erreichen.
Karotiden im Visier hat schließlich das eingangs vorgestellte Intubationsverfahren. Die Verabreichung der Eismischung kühlt die Lungen des Patienten und auf diese Weise den über die unweit gelegene karotide Arterie gelieferten Blutstrom auf den Weg nach oben – wenn auch vorerst nur in Tierversuchen mit Schweinen. Denn die lebensrettende Eismixtur muss nach Beendigung der Applikation abgesaugt werden, was bislang auf Grund der winzigen Eisklumpen im Tubus problematisch war.
Doch lassen die Ergebnisse – trotz solcher Probleme – Humanmediziner allgemein aufhorchen. Allein das RhinoChill-System rettete sechs von acht behandelten Versuchstieren mit Herzinfarkt das Leben, in der Gruppe der Ungekühlten unter den animalischen Probanden verhielt es sich genau umgekehrt, wie das Fachblatt Journal of Resuscitation berichtete.
Besonders interessant aber wäre für Notfallmediziner ein weiterer Aspekt: Die lebensrettenden Kühltechniken werden, wenn sie den Alltag erobern, einfach umzusetzen sein. Selbst ein cooles Gehirn erst nach der eigentlichen Reanimation ist besser als eins, das bei Normaltemperatur auf Besserung wartet. Dass die Verfahren zunächst in Krankenhäusern zum Einsatz kommen dürften, scheint für Fachleute wie Richard Lyon vom Royal Infirmary of Edinburgh mehr als wahrscheinlich: "Jeder siebte Patient bleibt durch therapeutisches Kühlen am Leben".