Während die großen Drogenkonsumnationen das Problem kaum in den Griff bekommen, etablierte sich in der Schweiz ein wirkungsvolles System: Für Schwerstabhängige gibt es schon seit Jahren und unter ärztlicher Aufsicht Heroin auf Rezept. Jetzt will auch Deutschland nachziehen – und den Einsatz von Diamorphin erlauben.
Die Mitteilung des Deutschen Bundestags in Berlin erfolgte zwischen Finanzkrise und Weltrezession. „Die kontrollierte Behandlung schwerstkranker Opiatabhängiger mit synthetisch hergestelltem Heroin - so genanntes Diamorphin - soll nach dem Willen einer fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppe künftig in das Regelsystem der gesundheitlichen Versorgung eingefügt werden“. Immerhin 250 Abgeordnete von SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen legten am 14. Januar dieses Jahres den Gesetzentwurf (16/11515) vor, wonach Diamorphin nach Bundestagsaussagen „als verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft werden soll, um so eine Behandlung mit dem Mittel zu ermöglichen“. Zudem dürfte, sofern der Wille der bundesdeutschen Parlamentarier greift, die Diamorphinbehandlung nur bei schwerstabhängigen Opiatsüchtigen angewendet werden, „die nach herkömmlichen Methoden wie etwa mit einer Methadon-Substitution nicht erfolgreich therapierbar sind“. Die Idee, eine Übernahme der Diamorphinbehandlung ins Regelangebot des medizinischen Hilfesystems zu ermöglichen, ist für Deutschland mehr als innovativ – und stammt aus der Schweiz.
Schweiz als globaler Vorreiter
Bereits am 21. Oktober 1992 kam es im Alpenland nämlich zur „Verordnung für die Durchführung eines wissenschaftlich begleiteten klinischen Versuchs zur kontrollierten Heroinabgabe“, wie die kürzlich erschienene Monografie "Heroin - von der Droge zum Medikament" resümiert. Als nicht minder legendär gilt der 1. November 1994, jener Tag also, an dem die Heroinausgabestelle Janus in Basel das Licht der Welt erblickte. Damit avancierte die Stadt – nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit- zur Vorzeigeregion. Denn während der 90er Jahre setzte der Baseler Professor Dieter Ladewig die Therapie in Basel konsequent durch. Heute sieht er sich bestätigt, wie er den Autoren der aktuellen Monografie, Otto Schmid und Thomas Müller, im Werk erklärt: "Ist ein Patient noch nicht extrem abhängig, scheint eine Behandlung mit Methadon oder Buprenorphin angezeigt. Bei einer stärker ausgeprägten Abhängigkeit und wenn jemand den psychotropen Effekt einer Substanz sucht, meine ich, dass das Heroin eher geeignet ist." Als einen wesentlichen Grund für den wesentlichsten Erfolg der heroingestützten Behandlung aller relevanten Zentren der Schweiz macht Ladewig die psychosoziale Stabilisierung der Patienten aus. Allerdings räumt der Psychiater ein, dass für viele Patienten eine Abstinenz, trotz allen Bemühungen, illusorisch bleibt. Andererseits würden auch schwere Fälle wirklich clean – was schon aus ärztlicher Sicht für das Konzept spricht. Doch auch in Punkto Kriminalitätsbekämpfung geht es voran: Die offene Drogenszene in der Schweiz ist praktisch gänzlich verschwunden. Zudem sind sowohl der Neueinstieg in den Drogenkonsum, als auch die Beschaffungskriminalität und die Zahl der Drogentoten seit rückläufig.
Einen Hauptgrund für diese Entwicklung sieht auch Professor Gerhard Wiesbeck vom Universitätsklinikum Basel in der "heroingestützten Behandlung". Der Mix aus der Verabreichung pharmazeutisch hergestellten Heroins (Diacetylmorphin) unter kontrollierten Bedingungen und einer eingehenden psychosozialer Begleitung bereiten der Schweiz weniger Drogentote. Die Erfolge des Schweizer Modells ließen sich global übertragen – wenn andere Länder genauso vehement vorgingen. Schätzungsweise zehn Millionen Menschen sind weltweit heroinabhängig , die negativen gesundheitlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Folgen sind verheerend. Dass die im Jahr 1897 von der damaligen Aktiengesellschaft Farbenfabriken unter der Patentnummer 31650 F 2456 geschützte Substanz wieder das Licht der Pharmawelt erlebt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie des Schicksals: Noch bis in den 1930er Jahren gab es Heroin als Schmerz- und Hustenmedikament. In Deutschland aber, wo Heroin als geschützter Markenname seinen unsäglichen Siegeszug rund um den Globus begann, tut man sich mit der Übernahme des Schweizer Modells nach wie vor schwer: Obwohl der Deutsche Bundesrat ebenfalls einen Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Behandlung Schwerstabhängiger vorlegte konnten sich die regierenden Koalitionsfraktionen „bislang nicht auf ein einheitliches Vorgehen in dieser Frage verständigen“, wie es dazu aus Berlin heißt.